Unser Kanu-Abenteuer, Teil 2. Stell dir eine matschige Wiese vor, ein kinderleicht aufzubauendes Zelt und eine Nachtruhe auf drei Maulwurfshügeln.

    Wir sind eine abenteuerlustige Familie, zumindest wir Jungs. Während die Chefin ein Wochenende mit Yoga und Cabrio verbringt, sind wir drei zum Teambuilding abkommandiert. Im Kanu, so Mona, würden sich Vater und Söhne näherkommen, wo ich schon keine Elternzeit genommen habe. Nach einem Großeinkauf im Outdoor-Bedarf irren wir nun durch ein ziemlich leeres, dunkles Mecklenburg, auf der Suche nach einem Wasserwanderplatz, wo unsere „Sternenzerstörer“ liegen würde, wie Hans das Boot getauft hatte. Mein Vorschlag „Nscho-Tschi“ war von beiden abgelehnt worden. Literaturwissenschaftliche Anmerkung: Bei Karl May scheint es sich um ein Generationenphänomen zu handeln, nicht um einen Klassiker wie Goethe oder „Star Wars“.

    Karl der Große lag auf der Rückbank zwischen den Dosensuppen und schlief. So sieht Vorfreude aus. Wasserwanderplätze sind vom Fluss aus gut zu finden, nachts und von der Straße aus eher weniger. Kurz vor Mitternacht haben wir unseren Lagerplatz gefunden. Wir lernen: „Wasserwanderplatz“ ist eine Chiffre für – nichts. Matschige Wiese am Fluss, nasse Feuerstelle, Maulwurfshügel und Steg. Manchmal steht ein Klo da und eine Münzdusche. Außer uns ein VW-Bus mit Hamburger Kennzeichen. Wir hätten im Wohnzimmer das Aufbauen unseres neuen Großraumzeltes üben sollen. „Mit wenigen Handgriffen“ gehört zu den größten Lügen des 21. Jahrhunderts. Während Karl in der Zeltwurst strampelt, schiebe ich acht Meter lange Karbonstangen dorthin, wo ich die prachtvollen Bögen unserer Camping-Kathedrale vermute. Hans heult, weil er nass, müde und hungrig ist, ein Zustand, den ich erst für morgen eingeplant hatte. Wir stopfen die Komfortluftmatratze „Sultan“ in die Zelthülle, Hans inspiziert das Klohäuschen und gibt bekannt, er wolle darin lieber im Stehen schlafen als mumifiziert in einer nassen Plane.

    Da reckt sich ein Kopf aus dem VW-Bus. „Braucht ihr Hilfe?“, fragte eine sonore Frauenstimme. „Eigentlich nicht ...“, beginne ich, während Karl „Auf jeden Fall“ aus der Zeltwurst ruft. Die Dame ist offenbar Campingprofi und zeigt uns, dass die „wenigen Handgriffe“ tatsächlich stimmen, wenn es die richtigen sind. Ich hatte meine Autorität als Outdoor-Papa verloren, dafür lagen wir nun zu dritt in unserem Topzelt; Hans ganz, Karl halb auf Sultan, ich balancierte dank Körperspannung fakirmäßig auf drei Maulwurfs­hügeln unter Nacken, Steiß und Wade. Strammer Nordnordostwind zerrte an unserem Zelt.

    Kurz vor fünf. Ich werde diesen Specht erdrosseln, der eine Mehrfamilienhöhle in den Stamm hackt. Unscharfer Blick. Jetzt weiß ich, was Karl mit „Tortellini-Augen“ meint. Hansens Knie ruht in meinen Rippen. Karl schnarcht. Altersbedingter Blasendruck. Ich luge aus dem Zelt. Am Steg liegt eine verbeulte Badewanne mit der Aufschrift „Sparwasser“. Das wird doch nicht ... Doch das wird ... Unser Boot. Schande des Torfkanals. Erst mal Kaffee kochen und Natur genießen. Könnte wärmer sein. Trockener. Spechtfreier. Sonniger. Natur ist nie wie im Katalog.

    Drei Stunden später ist „Sparwasser“ vollgestopft. Wir werden die kommende Nacht in der Wildnis campen, wahrscheinlich Spechtland. Sonntags weitere 30 Kilometer zurück in die Zivilisation, also zu irgendeiner Tankstelle paddeln, wo uns der Bootsverleiher aufsammelt und zurück zum Auto bringt. Wir müssen alles Gepäck dabeihaben, inklusive Verpflegung und Wasser. Tatsächlich alles im Boot. Nur wir nicht. Also wieder was raus. Sultan zum Beispiel, auf der ich eh nicht liegen werde. Oder das dämliche Bierzelt, das wir ohne unsere Mitcamperin eh nicht aufgebaut bekommen. Klappspaten? Raus. 20 Liter Trinkwasser? Raus. Im Fluss ist Wasser genug. Auf den Kasten Bier werden wir auf keinen Fall verzichten.

    Immer noch kein Platz. Am Himmel ballt sich eine düstere Front zusammen. Okay, Regensachen wieder rein. „Zieht vorbei“, sage ich, ohne es zu glauben. Vielleicht zelten wir hier und machen Bier-Yoga, pro Übung eine Flasche, ich und die VW-Bus-Frau. Die Jungs könnten angeln. Mittags hätte ich Sultan eine halbe Stunde lang für mich. Karl hat das Boot neu gepackt. Ich sitze vorn und muss die Beine ins Wasser hängen lassen. Ganz schön wackelig, diese Kisten. Die VW-Bus-Frau winkt und ruft, dass es schlauer sei, wenn der Schwerste hinten sitze und seine Beine ins Boot nehme. Ich winke. Hans sitzt hinten und versucht zu lenken. Der erste Rammstoß in die Uferböschung ist lustig. Der zwanzigste nicht mehr so. Nur noch 36 Stunden.