Mit seinem selbst designten und gefertigten Spezial-Motorrad hat Florian Engel im märchenhaften Scheichtum Abu Dhabi ganz real einen sehr speziellen Wettbewerb gewonnen

    Rainer Burmeister

    Ein Motorrad kann man sich im Fachhandel kaufen, kommt damit auch im dicksten Verkehrsgetümmel oder beim Brettern durchs Land gut voran. Ein Motorrad kann man sich aber auch selbst bauen – und damit sogar von Uetersen im Kreis Pinneberg bis nach Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten kommen.

    Für den Zweiradmechaniker Florian Engel, der an der Großen Twiete in Uetersen als Ein-Mann-Unternehmer in einer Werkstatt arbeitet, die er Engels Schmiede nennt, wurde die Tour in das Scheichtum im März 2015 Realität. Klingt nach orientalischer Märchenstunde; ist aber wahr – und kein Wunder. Denn Engels Schmiede ist seit 2011 gefragter Spezialist für Teileanfertigung und maßgeschneiderte Motorradumbauten.

    Das Emirat erreichte der Bike-Designer allerdings nicht auf dem Landweg im Motorradsattel, sondern ganz komfortabel im Großraumjet der Fluggesellschaft Emirates. Sein Eigenbau-Krad war in sämtliche Einzelteile zerlegt schon per Luftfracht über Frankfurt vorausgeschickt worden. Ziel der wundersamen Reise war ein kurioser Wettbewerb mit nur zwei Teilnehmer-Teams, der alljährlich im Rahmen einer Automobil- und Motorradmesse in Abu Dhabi stattfindet. Die Customshow Emirates gilt als größte Fachausstellung der Branche im arabischen Raum. Florian Engel und drei mitgereisten Unterstützern gelang es, im Wettstreit mit dem Konkurrenten bei der Biker Build Off (BBO) den Sieg davonzutragen.

    „Build Off bedeutet, dass der komplett demontierte Motorrad-Eigenbau auf der Messe vor den Augen der Zuschauer zusammengeschraubt wird“, erläutert Engel. Und nicht nur das: Am dritten Tag muss das Krad anspringen und fahrbereit sein. Das gelang sowohl dem Team aus Engels Schmiede als auch den Mitbewerbern von Lycam Customs aus Dubai perfekt. Die Fachjury, das Publikum und die Veranstalter entschieden allerdings, das Prachtstück aus Uetersen zum Champion zu küren. „Damit wurden wir die ersten Champions aus Europa und sind weltweit das jüngste Teilnehmer-Team“, sagt der 26 Jahre alte Designer voller Stolz. Außer einem Pokal und der Übernahme der Reise-, Aufenthalts- und Transportkosten gab es keine Extras wie etwa Preisgeld zu ergattern. Doch der Sieg beim BBO gilt in der internationalen Biker­szene als höchste erreichbare Anerkennung. Kein Wunder, dass Florian Engel mit seinem Edel-Krad seit seinem Titelgewinn in mehreren europäischen Ländern ein gefragter Vorzeigegast auf diversen Ausstellungen und Biker-Events war.

    Unique Thirty nennt Engel seine Schöpfung. Unique bedeutet einzigartig. Thirty steht für das schlanke Vorderrad im ausladenden 30-Zoll-Format. „Abgekürzt ist U 30 auch der Hinweis darauf, dass ich unter 30 bin“, begründet der Designer schmunzelnd seine Namenswahl. Übrigens: Das Hinterrad des Boliden mit dem fetten Breitreifen misst nur bescheidene 20 Zoll…

    Trotz der Länge von drei Metern wirkt das 300 Kilogramm schwere Motorrad fast filigran in seiner Struktur. Wenn Florian Engel fürs Foto über den Gewerbehof bullert, wird allerdings deutlich, dass die Unique Thirty kein Fahrzeug für die Langstrecke ist. Der Biker hockt auf einem Minisattel mit nach vorn gestreckten Beinen auf der Maschine. Um den zierlichen Lenker zu erreichen, muss Engel auch die Arme weit ausstrecken. „Hinzu kommt, dass Unique Thirty einen Wendekreis wie ein Lkw hat”, sagt der Eigentümer des rollenden Kunstwerks.

    Das bollernde Eigengewächs aus Uetersen konnte nur gedeihen, weil gut ein Dutzend Helfer und Sponsoren das Projekt unterstützten. Nachdem Florian Engel bei den Hamburger Motorradtagen von einem Vertreter der Customshow zur Teilnahme am BBO eingeladen worden war, begann eine siebenmonatige Planungs- und Bauphase, die sich auf 2000 Arbeitsstunden summiert. Zunächst gab es nur Computer-Zeichnungen und teils verrückt anmutende Ideen. „Bis auf den 1,6-Liter-Motor von Harley Davidson mit 80 PS besteht das Bike überwiegend aus speziell angefertigten Teilen”, sagt Engel. Dazu gehören die aus Aluminiumblöcken gedrehten Felgen ebenso wie der Gitterrohrrahmen und eine verstellbare Luftfederung der vorderen und hinteren Radaufhängung. „Sämtliche Blechteile wurden in wochenlanger Handarbeit gedengelt”, ergänzt Freund und Kollege Jan Schmidt, der sich in Engels Werkstatt mittlerweile auf Pulverbeschichtung von Krädern und Autos spezialisiert hat. Die blau-weiße U 30 wurde allerdings herkömmlich von einem Sponsor lackiert. Ganz ohne Schrammen, obwohl die betreffende Firma Schrammwerk heißt. Das Auftragen des aufwendigen „Make-ups“ der Einzelteile dauerte allein zehn Tage.

    Ein weiterer technischer Leckerbissen beeindruckte die Juroren in Abu Dhabi besonders. Es handelt sich um eine Touchpad-Steuerung, die es bisher im Motorradbau noch nicht gab. Über den Mini-Bildschirm, dessen Bedien-Elemente dem Firmenlogo von Engels Schmiede entsprechen, lassen sich nahezu alle Funktionen und Einstellungen auf Fingerdruck abrufen. Das reicht vom Anlasser über Zündung und Licht bis zu Öltemperatur und Luftfederung. Das vom Software-Entwickler Stefan Rohwer erstellte Programm wird mittlerweile sogar schon in abgewandelter Form im Berliner Flughafen Tegel verwendet.

    Der Titelgewinn aus dem vergangenen Jahr wirkt noch nach. Erst vor einigen Wochen war der Champion erneut in Abu Dhabi. Diesmal durfte Engel, wie es üblich ist, den nächsten Siegern der BBO den Pokal überreichen. 2016 gewann ein Team aus den Emiraten. An seinen Titelgewinn erinnert auch noch das Zulassungskennzeichen aus Dubai, das aus Platzgründen hochkant am Schildhalter des Krads befestigt werden musste. Wenn Engel nicht gerade in seiner Schmiede werkelt, unternimmt er gern Spritztouren in der Region. Eine deutsche Zulassung braucht er dafür nicht. Das Kennzeichen aus Dubai wird auch hier akzeptiert.

    Inzwischen zerbricht sich der Krad-Designer schon den Kopf über ein neues Projekt. Von einer Firma aus Rosenheim bei München bekam Engel den Auftrag, ein Promotion-Bike anzufertigen. Doch bei aller Freude über einen solchen Job steht für ihn im Tagesgeschäft seine Kundschaft aus der Umgebung im Mittelpunkt.