Ob Kohl, Schröder oder Putin – bisher gab es niemanden, dem sie mit ihrem Machtinstinkt nicht gewachsen war. Aber jetzt gibt es Erdogan

Wann geschah es zuletzt, dass Angela Merkel fassungs- und vor allem machtlos erschien? Lange her. War es Gerhard Schröder, der nach Genuss einer sportlichen Einheit Rotwein der Wahlsiegerin lässig erklärte, man müsse die Kirche im Dorf lassen und ihn im Kanzleramt? Ein Moment. Oder Putins Labrador, der die Hundeskeptikerin erkennbar verängstigte? Auch nur eine Episode. Merkel zittert nicht vor Männern. Im Fußball gilt laut Gary Lineker: 22 Spieler rennen umher, und am Ende gewinnen die Deutschen.

In der Politik galt analog: Lasst die Machos ihre Mätzchen machen, am Ende gewinnt Angela Merkel – auf diesem Narrativ gründet ihr Machtmythos, seit sie Helmut Kohl erledigte.

Wer in ihrer Nähe überleben will, der sollte auf drei maskuline A verzichten: Arroganz, Axt im Walde und zuviel After Shave. Vorbei. Erstmals in Merkels Amtszeit stolziert ein Herr durch die politische Manege, der den Merkel-Mythos genussvoll zu zerbröseln beginnt: Recep Tayyip Erdogan. Fängt sich eine Klage ein, wer behauptet, dass Christinnen ohne Kopftuch nicht ganz seinem Frauenideal entsprechen? Der türkische Präsident spielt mit einer Folterzange, von der der putzige Seehofer (Verfassungsklage) oder der knuffige Gabriel (Dauerklage) träumen: Schleust Erdogan syrische Flüchtlinge nach Europa, ist Merkels Wiederwahl 2017 gefährdet. Das ist Macht. G7, Meseberg, CSU-Parteitag sind Zuckerfest gegen eine Stunde Ankara. Erdogan lässt sie warten, abprallen, abfahren. Kompromiss? Nie gehört.

Stimmt es allerdings, dass das Leben nur einen Akt habe, wie der US-Dramatiker F. Scott Fitzgerald schrieb, hat sich Erdogan zu früh geplustert. Dann bekäme Griechenland die sechs Milliarden, die für die türkische Hilfe vorgesehen waren, würde Hotspots einrichten, die funktionieren wie ein schwäbisches Finanzamt, und an Merkels Weg läge ein weiteres Pfauenkostüm. Kleines Problem: Der legendäre Plan B muss funktionieren. Stand heute: eher nicht. Das Würgen geht weiter.