50.000 messingfarbene Metallplatten erinnern an NS-Opfer. Doch es gibt Widerstand. Darf man die Ermordeten „mit Füßen treten“?

    Streit um Mahnmale ist in Deutschland nichts Neues. Das Erinnern an die Opfer der NS-Diktatur war kein Selbstgänger, es musste gegen eine Wand aus Vergessen und Verdrängen erstritten werden und wird von vielen heute noch als „störend“ empfunden. Ein Beispiel ist das Holocaust-Mahnmal im Herzen von Berlin; schon die Spendenkampagne für das Projekt mit dem provokanten Spruch „Den Holocaust hat es nie gegeben“ führte 2001 zu Streit.

    Ein anderes Beispiel sind die „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig. 1992 verlegte er in Köln die erste der beschrifteten kleinen Metallplatten zum Gedenken an deportierte „Zigeuner“. Inzwischen liegen fast 50.000 Stolpersteine in 1100 Orten Deutschlands und in 20 europäischen Ländern, allein in Hamburg mehr als 4700, in Berlin 6000.

    Die Stolpersteine sind inzwischen das größte europaweite Gedenkprojekt. Und immer noch eckt es an. Bei Hausbesitzern etwa, die eine Wertminderung ihrer Immobilie ins Feld führen, wenn davor Stolpersteine verlegt werden. Bei Rechtsextremen, die Stolpersteine immer wieder beschmieren oder beschädigen.

    Aber Kritik kommt auch von Nachfahren oder Interessenverbänden der Opfer. Die heftigste Kontroverse tobt in München. Dort hatte Charlotte Knob­loch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, es als „unerträglich“ bezeichnet, dass die Namen ermordeter Juden auf den Stolpersteinen erneut „mit Füßen getreten“ würden.

    Auf ihr Veto hin verbot der Münchner Stadtrat 2004, die kleinen messingfarbenen Steine auf städtischem Grund zu verlegen. Im April 2015 einigte sich der schwarz-rot dominierte Stadtrat nach einem emotionsgeladenen Hearing, beim Verbot zu bleiben; stattdessen solle der NS-Opfer mit Erinnerungstafeln und -stelen gedacht werden, sofern Angehörige und Hauseigentümer zustimmen.

    Jetzt geht die Debatte in eine neue Runde: In München hat sich der Verein Respect & Remember gegründet, in dem sich jüdische und nicht jüdische Persönlichkeiten für eine andere Form des Erinnerns einsetzen. Dabei wolle man mit namhaften Künstlern, Historikern und Experten zusammenarbeiten, sagt die Vorsitzende Gabriella Meros. „Wir möchten würdige, nachhaltige Projekte, die die jungen Generationen ansprechen auch in einer Zeit, in der es keine Zeitzeugen mehr geben wird.“ Der Verein möchte die Stolpersteine „entmystifizieren“ und eine „seriöse Alternative zu diesem Gedenk-Irrweg“ präsentieren. Konkrete Pläne werden derzeit noch nicht genannt, der Verein ist im Aufbau. Ableger sollen erst einmal in Berlin und Hamburg entstehen.

    Gunter Demnigs Idee war, den zu Nummern degradierten NS-Opfern mit den Stolpersteinen ihre Namen zurückzugeben – dezentral und dort, wo sie aus ihren Wohnungen gezerrt und deportiert wurden, vor unseren Haustüren. Aber die Stolpersteine, sagt Gabriella Meros, „liefern außer den Namen der Opfer keine Inhalte, was wirklich passiert ist, man lernt nichts dabei. Außerdem erinnern sie an die Naziszenen, wo Schoah-Opfer zu Boden getreten wurden oder die Straßen schrubben mussten. Der Boden ist nicht der Ort, um ihrer 2016 zu gedenken.“ Meros wirft Demnig vor, er verwende bei den Inschriften oft die Sprache der Täter (etwa „verfolgt wegen Rassenschande“). „Stolpersteine führen auch dazu, dass wir uns heute entlastet und wohlfühlen. Das möchten wir so nicht.“

    Allerdings gibt es in München auch andere Positionen. Die Initiative „Stolpersteine für München“ sammelte 2015 für ihre Petition an den Stadtrat mehr als 100.000 Unterschriften. In einem offenen Brief forderten NS-Verfolgte neben Künstlern wie Amelie Fried, Friedrich Ani und Doris Dörrie vom Stadtrat, Stolpersteine zu erlauben. Vergessen werden sollte auch nicht, dass die Steine in vielen Städten den Anstoß zu Nachforschungen über Opfer gegeben und dass sich zahlreiche lokale Stolperstein-Initiativen gebildet haben.

    Worum geht es bei dieser endlosen Kontroverse? Nicht zuletzt um tiefe Emotionen. Um den Kampf gegen das Vergessen, bei dem sich Opfergruppen immer wieder ausgeschlossen fühlen. Es kann und darf viele verschiedene Gedenkinitiativen geben. Aber muss man deshalb die Stolpersteine auf den Müll werfen?