Der Rechtspopulismus in Europa wird zur Gefahr für die Volksparteien. Daran ändert auch der Sieg von Van der Bellen nichts.

In vielen europäischen Hauptstädten waren am Montag Stoßseufzer der Erleichterung zu hören. „Österreich ist noch nicht an die Rechtspopulisten verloren“, lautete die Botschaft. Doch soll man sich von dem hauchdünnen Sieg des früheren Grünenpolitikers Alexander Van der Bellen bei der Wahl zum Bundespräsidenten nicht täuschen lassen. Die fast 50 Prozent für den FPÖ-Spitzenkandidaten Norbert Hofer sind ein politisches Erdbeben.

Da war zum einen der bürgerliche Habitus des FPÖ-Mannes. Freundlich lächelnd, nett im Ton: Hofer hatte in seinen Wahlkampfauftritten nichts von einem nationalistischen Radikalinski. Trotz des verbindlichen Stils verbreitete der 45-Jährige eine scharfkantige Botschaft. Abschottung gegenüber den Flüchtlingen, harsche Kritik an der EU-Bürokratie, Nein zum geplanten Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) hießen seine Kernpunkte. Dazu kam das Versprechen, etwas gegen die steigenden Mieten zu tun.

Zu viele Fehler der großen Koalition

Der entscheidende Grund für den Fast-Durchmarsch der FPÖ lag jedoch im tiefen Fall der Volksparteien SPÖ und ÖVP. Die große Koalition machte zu viele Fehler. Die 180-Grad-Wende in der Flüchtlingspolitik endete in einem Glaubwürdigkeitsdesaster. Im September hatte der frühere Kanzler Werner Faymann mit seiner deutschen Amtskollegin Angela Merkel noch eine Willkommenskultur gepredigt. Dann legte er den Rückwärtsgang ein. Die Regierung sah sich durch Wahlerfolge der FPÖ unter Druck und kopierte den Kurs der Rechtspopulisten. Das zahlt sich aber selten aus. Die Wähler machen im Zweifel ihr Kreuz lieber beim Original.

Left-wing independent candidate Alexander Van der Bellen addresses the media after winning Austrian presidential election in Vienna, Austria, May 23, 2016. REUTERS/Leonhard Foeger
Left-wing independent candidate Alexander Van der Bellen addresses the media after winning Austrian presidential election in Vienna, Austria, May 23, 2016. REUTERS/Leonhard Foeger © REUTERS | LEONHARD FOEGER

Doch nicht nur das. Zu lange kuschelten SPÖ und ÖVP im Elefantenbündnis, stellten wechselseitig den Kanzler, schacherten um Posten und produzierten Skandale. Zwar steht Österreich bei der Arbeitslosenrate im EU-Vergleich noch relativ gut da. Doch die Wirtschaft lahmt, die Nettolöhne stagnieren seit Jahren. Viele Bürger kommen nur mit Ach und Krach über die Runden. Etliche fragten sich: Für die Flüchtlinge werden Milliarden ausgegeben. Und wer denkt an uns?

Auch die Volksparteien in Deutschland könnten bald abgestraft werden

Ein ähnlicher Überdruss an der politischen Klasse macht sich in Frankreich breit. Präsident François Hollande hat in der Bevölkerung sämtlichen Kredit verspielt. Die Franzosen hatten den bescheiden auftretenden Sozialisten 2012 gewählt, weil sie des paradiesvogelhaften Egomanen Nicolas Sarkozy überdrüssig waren. Doch Hollandes zentrales Versprechen, die Arbeitslosenrate zu reduzieren, ist bis heute eine Luftblase. Jeder zehnte im Land hat keinen Job. Viele Jugendliche leiden unter Perspektivlosigkeit. Hinzu kommen Millionen Einwanderer, die schlecht oder gar nicht integriert sind.

Doch auch die politische Gegenseite hat keine zündenden Alternativen zu bieten. In ziemlich genau einem Jahr wählt Frankreich einen neuen Präsidenten. Bei den Konservativen gelten ausgerechnet Sarkozy und der wegen illegaler Parteienfinanzierung zu einer Bewährungsstrafe verurteilte Ex-Premier Alain Juppé als Favoriten. Dieses Personaltableau und die wirtschaftliche und soziale Misere im Land ist die perfekte Munition für den rechtsextremen Front National. Es steht zu befürchten, dass die FN-Spitzenkandidatin Marine Le Pen einen ähnlichen Satz macht wie der FPÖ-Bewerber Norbert Hofer.

Ein derartiger Durchbruch der AfD scheint sich derzeit in Deutschland noch nicht abzuzeichnen. Doch der sozialpolitische Stoff, der Rechtspopulisten begünstigt, existiert auch bei uns. Viele Menschen haben seit Jahren netto nicht mehr in der Tasche. Rund ein Viertel aller Beschäftigten erzielt einen Stundenlohn von rund 9,50 Euro oder weniger. Hinzu kommt die gewaltige Herausforderung der Integration von mehr als einer Million Flüchtlingen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Volksparteien CDU/CSU und SPD bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 abgestraft werden, ist hoch. Das Ergebnis von Wien war ein Warnschuss.