Diagnose: akute Gemüseblindheit. Von Supermarkt-Angestellten mit Tomaten auf den Augen und Veganern mit großem Redebedarf.

Neulich im Supermarkt: Der junge Mann an der Kasse sah mit wachsender Nervosität auf das Gemüse, das da am Ende der Warenkette auf ihn wartete. Er scannte und scannte, schließlich ließ sich der Griff zum Rettich nicht mehr vermeiden. Er hielt ihn hoch, drehte ihn, sah uns unsicher an und fragte: „Sellerie?“ Nein, nicht ganz. Wenige Monate vorher war Ähnliches passiert, als eine junge Kollegin von ihm ein Suppenbund in die Hand nahm und sich wunderte: „Was ist das denn?“

Die Frage ist berechtigt. Was ist los, warum leiden so viele Leute unter einer akuten Gemüseblindheit? Man könnte die Unwissenheit ja noch verstehen, wenn es um exotische fruchtige Regalbewohner wie Litschis, Rambutan oder Persimonen ginge. Aber Rettich und Suppenbund sollte man als erwachsener Mensch in diesem Kulturkreis ruhig schon mal begegnet sein. Oder handelt es sich hier um Opfer von Fertigfutter, von Convenience Food, die Kartoffeln nur noch als Pommes erkennen, die denken, Fisch gebe es nur als Stäbchen oder Sushi, und die auch annehmen, Hähnchen existierten in der freien Natur in kleinen mit Panade überzogenen Stücken?

Essen ist wichtig, sonst muss man bald in den sauren Apfel beißen. Junge Leute möchten sich zwar nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, verwechseln aber trotzdem Äpfel mit Birnen und haben dann mit Zitronen gehandelt. Aber vielleicht ist ihnen das Banane. Wenn sie Tomaten auf den Augen haben und merken, dass sie sich nicht von ihrer Schokoladenseite zeigen können, spielen sie womöglich die beleidigte Leberwurst, aber das macht die Suppe auch nicht fett.

Vielleicht liegt in dem Phänomen auch die wahre Wurzel für den Siegeszug der vegetarischen und veganen Speisen. Deren Anhänger reden oft und gern über ihr Essen. Sprachlosigkeit führt womöglich zu der beschriebenen Entfremdung. Sonst kann man irgendwann auf die über Generationen erworbenen Lebenserfahrungen keinen Pfifferling mehr geben, weil den ohnehin niemand mehr erkennt. Wir müssen reden, alles andere ist Kappes.