Berlin.

Ein einziges Mal hat Queen Elizabeth II. öffentlich geweint. Zwei, drei Tränen entwichen ihren Augen, sie wischte sie sofort weg. Das war 1997, bei der Außerdienststellung ihrer „Britannia“ in Portsmouth. Die Jacht war 44 Jahre lang ihr „Lieblingszuhause“ – und die nahm ihr jetzt die Regierung, angeführt von Premier John Major, weg. Das 126 Meter lange Staatsschiff war mit Kosten von jährlich 30 Millionen Euro zu teuer geworden.

Diese Entscheidung beschreibt nur eines ihrer Dilemmata. Sie lebt in größtem Luxus, ist aber gleichzeitig vom englischen Steuerzahler abhängig.

Im gleichen Jahr, nur ein paar Monate später, weinte sie nicht, zumindest nicht öffentlich. Als das Leben ihrer gerade geschiedenen Schwiegertochter Diana am 31. August an einem Pfeiler in einem Pariser Tunnel endete, zog sich die Königin samt Familie im schottischen Schloss Balmoral zurück. Tagelang ließ sie nichts von sich hören, während ihr Volk in Tränen und Trauer versank. In Stephen Frears’ Spielfilm „Die Queen“, der die Ereignisse dieser Tage nachstellt, soll es der neue Premierminister Tony Blair gewesen sein, der Elizabeth II. immer wieder anrief, endlich ein Zeichen des Mitgefühls zu zeigen. Im Film fauchte Blair: „Würde bitte mal jemand diese Familie vor sich selbst retten“.

Neben Diana war sie nur die kaltherzige Königin

Vielleicht waren dies die einzigen Tage im Leben von Elizabeth II., in denen sie nicht zuerst an ihr Volk dachte, sondern an ihre Familie, vor allem an ihre beiden Enkel William und Harry. Warum sie dann 24 Stunden bevor die Trauerfeier für Prinzessin Diana in der Westminster Abbey abgehalten wurde, live vor die Kameras trat und die Verstorbene würdigte, ist nicht geklärt. Sicher ist, der Druck der Regierung war groß und die voranschreitende Unpopularität der britischen Monarchie eine Gefahr. Vor allem ihr Bild in der Öffentlichkeit war seit Tagen negativ besetzt. Neben Diana, der „Königin der Herzen“, war sie die kaltherzige Monarchin. Sie begann ihre Rede am Tag vor der Beerdigung mit den Worten: „Was ich jetzt zu Ihnen sage als Ihre Königin und als Großmutter, sage ich von Herzen.“ Da war sie wieder, die Rangfolge ihres Lebens. Erst das Volk, dann die Familie. Offiziell zumindest.

Wenn die Queen – und die ganze Welt weiß, dass mit der „Queen“ immer nur die britische gemeint ist – an diesem Donnerstag, dem 21. April, 90 Jahre alt wird, dann hat sie rückblickend – mit der einen Ausnahme in den Tagen nach Dianas Tod – immer ihr besonderes Versprechen gehalten. An ihrem 21. Geburtstag im Jahr 1947 erklärte sie bei einer Rundfunkansprache, ihr ganzes Leben, „ob es lang oder kurz wird“, in den Dienst ihres Volkes zu stellen. Die junge Frau hielt bis heute Wort. Auf eine Weise, die beispiellos ist. Mit Haltung und Zurückhaltung. Mit wenig Worten und viel Schweigen. Mit lieblichem Lächeln und grimmigem Blick. Mit einem Leben im goldenen Käfig und in größtem Luxus. Sie trägt die ihr anvertraute Last der Verantwortung ohne Klagen und ist bei allem bedacht um den Erhalt der Monarchie. Getreu dem Motto der britischen Upperclass: „Never explain, never complain“ (Erklär dich nicht, beschwer dich nicht).

Dass Durchhaltevermögen eine ihrer stärksten Eigenschaften ist, zeigte sie bei ihrem Besuch in Deutschland vor einem Jahr. Sie traf die Kanzlerin, feierte ihren Geburtstag mit Gästen im Schloss Bellevue, fuhr mit Bundespräsident Gauck in einem ziemlich bescheidenen Boot über die Spree, hörte einer Vorlesung ihr zu Ehren zu, besuchte Frankfurt und dann noch die Gedenkstätte in Bergen-Belsen. Überall, wo sie auftauchte, jubelten ihr die Menschen zu, verschlug es denen, die sie begrüßen durften, die Sprache.

Auf dem Staatsbankett im Schloss Bellevue hielt sie schließlich ihre einzige Rede dieses Besuches. Sie, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt hat, mahnte: „Wir haben erlebt, wie schnell sich die Dinge zum Guten wenden können, wir wissen aber auch, dass wir uns ernsthaft anstrengen müssen, die positiven Veränderungen in der Welt seit dem Krieg zu erhalten. Wir wissen, dass die Spaltung in Europa gefährlich ist und dass wir uns davor in Acht nehmen müssen, im Westen wie auch im Osten unseres Kontinents. Dies bleibt unser gemeinsames Streben.“ In einem eleganten weißen Abendkleid sprach sie diese Worte und es war sicher kein Zufall, dass die europäischen Spitzenpolitiker zeitgleich über den Verbleib Griechenlands in der EU diskutierten.

Umso unwahrscheinlicher ist der Wahrheitsgehalt der Schlagzeile, die im März für Aufregung sorgte. Die englische Zeitung „Sun“ titelte „Queen unterstützt Brexit“, also den Austritt Großbritanniens aus der EU. Sie habe bei einem Essen mit dem damaligen Vizepremier gesagt, die EU bewege sich „in die falsche Richtung“, das habe eine anonyme Quelle der Zeitung berichtet. Vom Königshaus wurde das dementiert: Die Queen bleibe politisch neutral, das habe sich in den 63 Jahren ihrer Regentschaft nicht geändert.

Die Queen gilt heute mit 90 Jahren als die Verkörperung britischer Geschichte und Identität schlechthin. Nach den drei gescheiterten Ehen ihrer Kinder im Jahr 1992, ihrem „annus horribilis“, und dem Tod von Prinzessin Diana sorgte die Queen und mit ihr die neue Generation, allen voran Prinz William und seine Frau Kate, für erneute Verbundenheit mit dem Königshaus. Von der Abschaffung der Monarchie spricht zurzeit niemand mehr.

Wer die Königin einmal mit „Ihre königliche Hoheit“ angesprochen hat, darf sie im weiteren Gespräch Ma’am nennen. Der britische Schauspieler Ben Kingsley sagte in einer Dokumentation über ihre Bedeutung für die Briten: „Lassen Sie es mich so sagen, es ist für uns sehr wichtig eine Ma’am zu haben, und wir haben eine.“

In Rente zu gehen und ihr Amt abzugeben wie Königin Beatrix von den Niederlanden ist für die Queen keine Option. Sie wolle Königin bleiben, bis sie stirbt, heißt es. Prinz Charles wird also noch warten müssen.