Bad Aibling.

Bisher hat der 39 Jahre alte Fahrdienstleiter von Bad Aibling auch Mitleid erfahren. Menschliches Versagen, eine Unaufmerksamkeit, eine Schusseligkeit soll es gewesen sein – aber mit schrecklichen Folgen: Bei dem Zusammenstoß zweier Nahverkehrszüge am 9. Februar um 6.48 Uhr auf der Strecke von Holzkirchen nach Rosenheim waren elf Menschen ums Leben gekommen. 85 Insassen wurden teils lebensgefährlich verletzt.

Doch jetzt lässt eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft den Mann in einem anderen Licht dastehen. Der Bahnbedienstete spielte offenbar bis unmittelbar vor der Katastrophe Handyspiele, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Das könnte seine Strafe deutlich erhöhen – der Mann sitzt jetzt in Untersuchungshaft. „Nach dem neuesten Stand der Ermittlungen“, so der Leitende Oberstaatsanwalt Wolfgang Giese in seiner Mitteilung, „hat der Beschuldigte unter Verstoß gegen Fahrdienstvorschriften der Bahn (...) am Morgen des Unglückstages sein Mobiltelefon eingeschaltet, ein Onlinecomputerspiel gestartet und über einen längeren Zeitraum bis kurz vor der Kollision der Züge aktiv gespielt.“

Es war möglicherweise diese Ablenkung, wegen der der Fahrdienstleiter den Zügen falsche Signale gegeben hatte. Als er seinen Fehler bemerkte, drückte er zudem beim Notrufen am Funkgerät die falsche Tastenkombination. Bei seiner Festnahme habe der Mann gestanden, zwar am Handy gespielt zu haben. Er bestritt jedoch, davon abgelenkt gewesen zu sein. Der Leitende Oberstaatsanwalt Wolfgang Giese stellt aber fest: „Wohl aufgrund dieser Ablenkung ging der Beschuldigte hinsichtlich des Kreuzungsortes der Züge von falschen Voraussetzungen aus.“

„Das Mobiltelefon als Quelle für Ablenkung wird bagatellisiert“

Erst vor Kurzem hatten Bahnmanager noch berichtetet, Hinterbliebene hätten ihnen geschrieben, dass ihnen bei aller Trauer um ihre Liebsten auch der Mitarbeiter leid tue. Kaum vorstellbar, was in den Köpfen der Hinterbliebenen der elf getöteten Zuginsassen nun vorgeht. Ein für die Sicherheit auf der eingleisigen Strecke zuständiger Bahnmitarbeiter schaltet unter Missachtung der Vorschriften sein Smartphone ein – und spielt Spiele. Der Oberstaatsanwalt Giese formuliert es in seinem Schreiben so: „Damit liegt dem Fahrdienstleiter nicht nur ein Augenblicksversagen zur Last, sondern eine erheblich schwerer ins Gewicht fallende Pflichtverletzung.“ Die Höchststrafe bei fahrlässiger Tötung beträgt fünf Jahre. Und auch zivilrechtlich könnten nach Bekanntwerden des vorschriftswidrigen Handyspielens im Dienst erhebliche Forderungen auf ihn zukommen. Die Staatsanwaltschaft weist darauf hin, dass die Ermittlungen zu den Ursachen des Zugunglücks noch andauern.

Die Staatsanwaltschaft wird sich fragen lassen müssen, warum dieses Detail der Ermittlungen erst jetzt bekannt wurde. Nur wenige Tage nach dem Unglück vom 9. Februar, dem verhängnisvollen Faschingsdienstag, hatte sie mitgeteilt, dass sich der Beschuldigte im Beisein seines Anwaltes ausführlich zu den Vorwürfen geäußert habe. Das Spiel am Smartphone verschwieg er offensichtlich. Vielleicht wurde er auch nicht danach gefragt.

Bisher betraf die Warnung vor Ablenkung durch das Telefon vor allem den Straßenverkehr: Forscher schätzen, dass von den 2,4 Millionen Verkehrsunfällen in Deutschland pro Jahr mindestens 300.000 auf die Ablenkung durch Handys zurückgehen. Das Tippen von Kurzmittelungen, aber auch das Spielen habe stark zugenommen – und wird von Forschern statistisch gleichgesetzt mit einem Alkoholspiegel von 0,8 Promille. Laut Christopher Schwarz, Berater für Medizinisch-Psychologische Untersuchungen, werde gerade die Gefahr durch die Ablenkung von Mobiltelefonen nach wie vor unterschätzt. „Je länger ich abgelenkt bin, um so höher ist die Gefahr – beim Spiel eines Handyspiels ist die Dauer der Ablenkung erfahrungsgemäß länger.“