Duisburg.

21 Menschen starben, weit mehr wurden verletzt und traumatisiert: Die Loveparade 2010 in Duisburg wurde zur Katastrophe. Wer trägt dafür die Verantwortung? Opfer und Hinterbliebene hatten sich darüber Klarheit von einem Prozess erhofft. Seit Dienstag aber ist klar: Es wird keinen geben. Ein Hauptverfahren, also eine Gerichtsverhandlung, hat das Landgericht Duisburg abgelehnt. Betroffene reagierten bestürzt und empört.

„Jetzt werden wir nie erfahren, was damals passiert ist und warum Marina sterben musste“, sagt Edith Jakubassa. Marina war ihre Tochter. Sie starb mit nur 21 Jahren im tödlichen Gedränge am Fuß der Rampe zum Loveparade-Gelände. Wie ist sie dort hineingeraten? Und wer ist für ihren Tod verantwortlich? Edith Jakubassas Stimme ist nicht von Trauer oder Enttäuschung gefärbt, als sie über die geplatzte Anklage spricht. Sondern von Zorn. „Ich bin empört. Man fühlt sich machtlos und hilflos. Ich halte die Entscheidung, die Loveparade-Anklage nicht zuzulassen, für einen Skandal“, sagt die aufgewühlte Mutter. Fast sechs Jahren haben sie und Marinas Stiefvater auf Antworten gewartet – anscheinend vergeblich.

Das Duisburger Landgericht war nach zweijähriger Prüfung zu dem Schluss gekommen, dass kein hinreichender Tatverdacht besteht. Das Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still, auf das sich die Anklage der Staatsanwaltschaft stützte, „leidet an gravierenden Mängeln“, teilte das Gericht mit. Beispielsweise sei es widersprüchlich in Zahlenangaben, verwende sogar Zahlen des Veranstalters, von denen Still selbst behauptet, sie seien manipuliert. Außerdem habe sich der Gutachter nicht mit den Regeln für deutsche Veranstaltungsplanung beschäftigt und sich zudem dem Risiko der Befangenheit ausgesetzt, indem er sich öffentlich unsachlich zum Unglück geäußert habe. Die Vorwürfe der Anklage könnten mit dem Gutachten nicht bewiesen werden. Eine Verurteilung der Angeklagten sei damit nicht zu erwarten. Damit entfällt aber eine wesentliche Voraussetzung für eine Hauptverhandlung.

Im Februar 2014 hatte die Staatsanwaltschaft Duisburg Anklage gegen sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent erhoben. Ihnen wurde unter anderem fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Nach der Entscheidung des Gerichts am Dienstag kündigte die Staatsanwaltschaft an, beim Oberlandesgericht Beschwerde einzulegen. So könne es doch noch einen Strafprozess geben. Die ablehnende Entscheidung des Landgerichts sei „nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft“, meinte die Anklagebehörde. Opferanwalt Julius Reiter bezeichnete die Entscheidung als „Justizskandal“. „Für alle Beteiligten ist das eine Katastrophe“, sagt auch Nebenklagevertreterin Bärbel Schönhof. Ihre Mandanten seien „extrem traumatisiert“.

Seit dem Jahr 2010 hatten Marinas Mutter Edith Jakubassa und Stiefvater Fiedhelm Scharff – wie andere Hinterbliebene auch – immer wieder betont, wie wichtig ein Verfahren für sie sei. „Das gehört doch zur Verarbeitung“, sagt Scharff. „Und wir hatten natürlich immer gehofft, dass die Beschuldigten vor Gericht endlich den Mund aufmachen und die wahren Verantwortlichen benennen“, ergänzt die Mutter.

Auch Manfred Reißaus hat in Duisburg seine Tochter verloren. Für ihn kommt nun alles wieder hoch. „Ich fühle mich retraumatisiert, das wirft mich einfach wieder auf den Stand der Dinge von 2010 zurück“, sagt Reißaus. Sein Anwalt sagte, die Opfer des Unglücks würden durch die Entscheidung des Gerichts erneut zu Opfern.

Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft äußert Unverständnis. Sie achte die Unabhängigkeit der Justiz, sagt sie. Sie wolle aber „als Mensch“ zum Ausdruck bringen, dass dieser Schluss für sie „schwer zu begreifen“ sei.

Das Verfahren hatte sich immer wieder in die Länge gezogen. Die Hauptakte mit den wichtigsten Unterlagen für den Prozess umfasst mehr als 46.700 Seiten und füllt insgesamt 99 Aktenordner. Hinzu kommen mehr als 800 Ordner mit ergänzendem Aktenmaterial.