Bayerns spektakuläres 4:2 gegen Turin zeigte zweierlei: Das Spiel ist doch die schönste Nebensache der Welt – und viel einfacher als gedacht.

Fußball ist eigentlich ein ziemlich simples Spiel. Elf gegen elf – und am Ende gewinnt die Mannschaft, die mindestens ein Tor mehr als der Gegner geschossen hat. So die Theorie. In der Praxis ist Fußball viel mehr: Geschäft, Show, Geldmacherei, Spektakel – und an guten Tagen die schönste Neben­sache der Welt. Mindestens.

Am Mittwoch war ein guter Tag. Denn am späten Mittwochabend spielte der FC Bayern gegen Juventus Turin im Achtelfinalrückspiel der Champions League. Es war eine dieser Partien, auf die sich schon zuvor ganz Fußball-Deutschland gefreut hatte. Ganz egal, ob man den FC Bayern verteufelt oder ihm verfällt. Pep Guardiolas bajuwarische Offensivmaschine gegen Massimiliano Allegris italienische Abwehrbollwerk – viel mehr geht nicht. Nach dem 2:2 im Hinspiel hoffte man auf einen spannenden Abend mit den zugehörigen Zutaten – und erhielt viel mehr. Nach 120 herausragenden Minuten, die alles bereithielten, was dieses fantastische Spiel so großartig macht, waren sich Fußballfans auf der ganzen Welt einig: das Sechs-Tore-Spektakel war eine Gala. Eine Liebeserklärung an den Fußball, die vor allem eines verdeutlichte: Auch im Zeitalter von abkippenden Sechsern, falschen Neunern und Gegenpressing ist und bleibt Fußball viel einfacher, als man immer denkt.

Die Zusammenfassung von Hin- und Rückspiel passt zunächst einmal in vier Halbsätze: erst brillant gespielt, verdient 2:0 geführt, dann nachgelassen und nach 90 Minuten doch nur ein 2:2 erkämpft. So war es im Hinspiel und mit gegensätzlichen Rollen auch im Rückspiel. Und weil die Arithmetik des Fußballs in diesen Fällen eine Zugabe von leider nur zweimal 15 Minuten vorsieht, ging der FC Bayern am Ende von 120 hochklassigen Minuten mit 4:2 als Sieger vom Platz.

Das Besondere an der Münchner Aufholjagd vom Mittwoch war aber vor allem die Art und Weise: Es war ein „unguardiolischer Sieg“, wie „Die Zeit“ treffend analysierte. Kein taktisches Meisterwerk, das nur die Schlausten der Schlauen verstehen. Kein Geistesblitz des katalanischen Fußballrevolutionärs, der Einzug in die Lehrbücher der kommenden Generationen halten wird. Es war eher Fußball wie auf der Stadtparkwiese, der für die entscheidende Wende sorgte: Flanke, Kopfball, Tor. Und noch mal: Flanke, Kopfball, Tor.

Die bayerische Alonso-Lahm-Alaba-Tiki-Taka-Maschine hatte am Ende 926 Pässe gespielt, bei Juventus Turin hörten die Statistiker bei 307 auf zu zählen. Beim Ballbesitz lautete das aberwitzige Verhältnis 75:25 Prozent. Fünfundsiebzig zu Fünfundzwanzig! Kaum zu glauben. Doch dieses ganze guardiolasche Positionsspiel, das die Münchner wie keine zweite Mannschaft auf diesem Globus beherrschen, sollte einfach nicht zum Erfolg führen. Bis, ja bis sich die Roten plötzlich wieder an das Karo einfach des Fußballs erinnerten: Brechstange, Einsatz, Herz, Kampf und Wille.

Die Belohnung folgte umgehend: 1:2 durch Lewandowski. Per Kopf. 2:2 durch Müller. Per Kopf. Thiagos und Müllers Doppelpass zum 3:2 sowie Comans Solo vor dem 4:2 waren die Zugaben, die Kirschen auf dem riesengroßen Stück Sahnetorte.

Was also bleibt von dieser grandiosen Partie unter dem Strich? Vielleicht, dass Fußball eben doch so viel mehr ist als Fifa, DFB, Uefa. Als aberwitzige Millionensummen, als Verträge, die ja doch nie eingehalten werden. Als 4-2-3-1, 4-4-2 und 3-4-3. Fußball ist ein Spiel, das im besten Fall begeistert, polarisiert, über das man streitet, diskutiert und das einen träumen lässt. Es ist dieses pure Spiel, das man im Volksparkstadion, am Millerntor oder in der Münchner Allianz Arena spielt. In Deutschland oder Brasilien, in Syrien, Griechenland oder in der Türkei. Im Stadion, auf dem Ascheplatz oder auf der Wiese. Der Fußball ist versaut, verdorben, verloren – oder an einem guten Abend ganz einfach das Beste, Tollste und Schönste, was einem passieren kann. „Es gibt Leute, die denken, Fußball sei eine Frage von Leben und Tod.“ Sagte einst Trainer Bill Shankly. Und ergänzte: „Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann Ihnen versichern, dass es noch sehr viel ernster ist.“