Jahrelang schnappte sich der nächste HSV-Gegner Bayer Leverkusen die besten Hamburger Talente. Damit ist vorerst Schluss.

165.000 Einwohner. Hier mündet die Wupper in den Rhein. Im Bayer-Erholungshaus finden Theater- und Ballettvorstellungen statt, es gibt das Industriemuseum, den örtlichen Werksclub Bayer Leverkusen und seit 2007 das beliebte Einkaufszentrum am Friedrich-Ebert-Platz.

Nun scheint es zunächst einmal keinen rationalen Grund zu geben, warum dieses 415 Kilometer entfernte Leverkusen mit Hamburg im Clinch liegen sollte. Liegt es aber. Und das wiederum soll vor allem daran liegen, dass Bayer Leverkusens Verantwortliche offenbar sehr viel lieber in Hamburg als in der Rathaus-Galerie am Friedrich-Ebert-Platz shoppen gehen. Beim ersten Einkaufsbummel 2010 war noch niemand böse. Sidney Sam kam für 2,5 Millionen Euro zu Bayer, wo er bald darauf Nationalspieler wurde.

Es folgten Supertalent Heung-Min Son, der für zehn Millionen Euro und einen späteren Nachschlag von drei Millionen Euro wechselte, und Uwe Seelers hochveranlagter Enkel Levin Öztunali. Uwe Seeler! Was? Erlauben? Leverkusen? Doch so richtig eskalieren sollte der Streit erst ein Jahr später, als Hakan Calhanoglu den HSV erst vor dem nahezu sicheren Abstieg bewahrte, sich dann aber so lange krankschreiben ließ, bis er doch von der Elbe an die Wupper wechseln durfte. Für 14,5 Millionen Euro. Wieder ein Talent weg – wieder bekam der HSV viel Schmerzensgeld vom angeblichen „Pillenclub“.

Genau an dieser Stelle – noch vor dem Transfer von Top-Talent Jonathan Tah – gilt es erstmals einzuhaken. Denn so groß der hanseatische Ärger über das Bayer-Geschäftsgebaren damals auch war, so groß hätte der Dank sein müssen. Schließlich gehört es zur ganzen Wahrheit, dass der taumeldende Dino im Sommer 2014 auf die großzügige Finanzspritze aus Leverkusen angewiesen war. Doch statt die Millionen intelligent für den versprochenen Neuaufbau zu verwenden, wurden sie nach bester Reeperbahn-Mentalität verprasst. 8,5 Millionen Euro für Pierre-Michel Lasogga? Kein Problem! Sechs Millionen Euro für den Invaliden Valon Behrami? Warum denn nicht? Und so schmolz der Berg der Bayer-Millionen dahin – bis am Ende nur ein tiefes Finanzloch übrig blieb. 16,9 Millionen Euro Miese hat der HSV in jener Spielzeit gemacht.

Doch Bayer sei Dank: Der HSV erhielt im vergangenen Sommer tatsächlich noch eine weitere Chance. Diesmal war es der bereits erwähnte Tah, den die Hamburger gen Westen ziehen lassen mussten. Immerhin acht Millionen Euro erhielt der immer noch klamme HSV für den Jungen aus Altona, der unbedingt aus Hamburg weg wollte.

Die gute Nachricht: Tah dürfte für längere Zeit der letzte Hamburger gewesen sein, der sich auf den weiten Weg unter das Bayer-Kreuz machte. Die schlechte Nachricht: Verantwortlich hierfür ist kein plötzliches Friedensabkommen zwischen dem HSV und Bayer, sondern der Mangel an Top-Talenten, an denen die Leverkusener ihren Spaß hätten.

Im letzten Finanzbericht der HSV AG hat der Club selbst die Spielerwerte aller Profis zum Stichtag 30. Juni 2015 mit 29,8 Millionen Euro angegeben. Zum Vergleich: Zwei Jahre zuvor wurden die Spielerwerte mit 36,9 Millionen Euro bilanziert. Doch die Zeiten, in denen der HSV seine finanzielle Schieflage durch Millionen-Transfers in Richtung Leverkusen wieder gerade rückt, dürften zunächst vorbei sein.

Dabei ist der einst versprochene Weg, auf Eigengewächse zu setzten, diese zu fördern und dann möglicherweise für gutes Geld zu verkaufen, der momentan einzig sinnvolle für den HSV. An dieser Stelle ist zum einen Sportdirektor Bernhard Peters gefragt, der für den Nachwuchs und die Verbindung zu den Profis verantwortlich ist. Und zum anderen Sportchef Peter Knäbel, der mit den eingenommenen Millionen gewissermaßen den Anti-Olic (jung, entwicklungsfähig, bezahlbar) finden muss.

Und die Leverkusener? Die müssen wohl ein paar Jährchen auf das nächste HSV-Top-Talent warten – und bis dahin alternative Einkaufsmöglichkeiten suchen.