Es schon kurios, was ein Lokalreporter im Kreis Pinneberg alles erleben kann. Rainer Burmeister erinnert sich

Lokalreporter, die sich querbeet um alles kümmern müssen, was so in der Region passiert, sollten immer ein Paar Gummistiefel griffbereit im Auto liegen haben. So lautet seit mindestens 45 Jahren (Jubiläumszahl!) ein eherner Grundsatz im Journalismus. Doch es geht auch anders, wie der Autor dieser Zeilen am eigenen Leib feststellen musste.

Zur Besichtigung einer im Bau befindlichen Kindertagesstätte in Hal­stenbek gab es einen Ortstermin. Verkehrsbedingt rückte ich verspätet an, sah die Vertreter des Kita-Betreibers Arbeiterwohlfahrt sowie den damaligen Bürgermeister Bruno Egge hinter einer großen Baustellenpfütze auf der Terrasse des fast fertigen Neubaus stehen. Mit Anlauf und einem für meine Verhältnisse gewaltigen Satz versuchte ich, das Minigewässer zu überspringen.

Das Manöver endete mitsamt der umgehängten Kamera als Bauchlandung in eben jener Dreckpfütze. Unterm Strich kam ich mit einem angebrochenen Finger, total durchnässten Klamotten und einem matschverkrusteten Fotoapparat davon. Die Gastgeber halfen nach erstem schadenfrohen Gelächter liebevoll bei der Reinigung von Mensch und Gerät. Der Text wurde am nächsten Tag ohne Verwendung des ärztlich verbundenen „Polizeifingers” getippt. Ach ja: Die Gummistiefel standen ebenso unbenutzt wie unversehrt im Kofferraum meines Autos.

In den 45 Jahren des Bestehens der Pinneberger Abendblatt-Regionalausgabe erlebte allerdings nicht nur die schreibende Zunft hin und wieder Kuriositäten aller Art. Vor allem Kommunalpolitiker und Bürgermeister waren oft nicht auf den Mund gefallen, wenn es galt, Missstände kleinzureden oder Versäumnisse der jeweils anderen Seite in die Schuhe zu schieben.

Legendär schon war die Erkenntnis des damaligen Pinneberger Bürgermeisters Hans-Hermann Kath über die „normative Kraft des Faktischen.” Diese auf hohe Intelligenz schließende Weisheit ließ sich auch im Straßenverkehr anwenden. Es ging um Frostschäden auf der Datumer Chaussee, die wohl aus Kostengründen jahrelang nicht beseitigt worden waren. Die Verbindung nach Waldenau war stellenweise nur im Schritttempo zu befahren. Kath bewertete die Schlaglöcher als eine neue Form der anderswo gewünschten Verkehrsberuhigung und hatte somit ein weiteres Beispiel für die normative Kraft des Faktischen gefunden.

Eigenmächtigkeit kostete denBürgermeister von Ellerbek ein Bußgeld

Auch Ellerbeks ehrenamtlichem Bürgermeister Hans-Theodor Schadendorf lag stets das Wohl seines Dorfes am Herzen. Dies galt auch, als er eigenmächtig Ortseingangsschilder versetzen ließ, um den Wirkungsbereich von Tempo 50 auszudehnen. Das zuständige Straßenverkehrsamt des Kreises Pinneberg kam allerdings dem Schild-Bürgermeister auf die Schliche, und der allseits beliebte Schadendorf musste ein Bußgeld löhnen.

Trendsetter war Schadendorfs Dorf sogar beim Thema einstürzende Neubauten: Jahrzehnte vor dem zweimal in sich zusammengebrochenen Halstenbeker Knick-Ei war die als „Insel des Glücks” bezeichnete Kleinkommune Schauplatz eines höchst betrüblichen Einsturzes. Einen Tag vor dem Richtfest fiel die tragende Kon­struktion des Holzbinder-Skeletts der neuen kommunalen Tennishalle wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Hinzu kam, dass die Halle ohne Baugenehmigung als Schwarzbau errichtet wurde. Bürgermeister Schadendorf musste wieder einmal Bußgeld zahlen. Immerhin: Die Halle wurde fertig gebaut und steht heute noch. Das Halstenbeker Desaster hingegen endete bekanntlich mit dem Verscharren der Reste des gläsernen Knick-Eies und einem konventionellen Sporthallen-Neubau auf den Trümmern der Ruine.

Apropos Halstenbek: Ein Meister der ebenso scharfzüngigen wie zutreffenden Statements und Zwischenrufe war und ist der frühere Bürgermeister Gerhard Flomm. Er weihte übrigens das wiedereröffnete Naherholungsgebiet Krupunder See ein, indem er ins Gewässer sprang und sich publikumswirksam von der DLRG „retten“ ließ. Auch in einer Gemeinderatssitzung ging es später um das Naturidyll. Forderungen von Umweltaktivisten zur Ausweisung von Öko-Wiesen und Vogelschutzzonen auf dem Ufergelände brachten Flomm erst auf die Palme und dann zu der denkwürdigen Erkenntnis: „Wir können am Krupunder See nicht jedes Brathähnchen schützen!”

Bemerkenswerte Bemerkungen lieferten auch der Rellinger Bürgervorsteher Otto Stummer und der Halstenbeker FDP-Fraktionschef Herwart Straub. In Rellingen ging es um einen gastronomischen Betrieb mit beson­derem Service. In einer lautstarken Bürgerfragestunde zum Thema hakte Stummer nach: „Handelt es sich um ein Hotel?” – „Ein Bordell!”, verbesserte der Sprecher der Anwohner. Der Bürgervorsteher murmelte, gerade noch vernehmlich: „Das hatte ich gar nicht zu hoffen gewagt.” Herwart Straub brachte es sogar zu einer Eintragung im „Spiegel”. In der Schmunzelrubrik Hohlspiegel wurde seine Äußerung zur Diskussion um den Posten einer Gleichstellungsbeauftragten aus der Pinneberger Zeitung wiedergegeben: „So eine Verwaltungsstelle wird auf ewig und drei Tage eingerichtet. Wir laufen Gefahr, dass die Position der Frauenbeauftragten noch besteht, wenn es längst keine Frauen mehr gibt!” Na, wenn das keine liberale Weitsicht war …

Schlusslicht oder -wort des Verfassers ist die Erinnerung an einen Termin auf dem Flugplatz Uetersen-Heist: Die Betreiber eines Werbe-Luftschiffs hatten in den 1970er-Jahren zum Presserundflug eingeladen. Beim Boarding stiegen als Letzter und Vorletzter der damalige Redaktionsleiter, ein in jeder Hinsicht gewichtiger Mann, und der vollschlanke Jungredakteur in die bereits mit Kollegen vollgestopfte Kabine. „Wir sind schwerer als Luft. Einer muss raus“, ordnete der Kapitän an. Ein sekundenkurzer Blickkontakt zum Chef reichte mir, um betrübt, aber dienstbeflissen die Gondel zu verlassen.

Immerhin, ein paar Tage später gab es als Trost einen zweistündigen Exklusiv-Törn mit dem schwebenden Werbeträger über Hamburg.