Wedel. Der Wedeler Radsportler Leon Rohde hatte das Ticket für Rio de Janeiro fast in der Tasche. Doch ein kleines Formtief brachte das Aus

Freitag, 5. August 2016: Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro. Trotz mancher Krittelei noch immer der friedliche Wettstreit des Sports, der den gesamten Globus erfasst. Helden werden hier geboren. Aber auch die Dramen des Scheiterns gehen um die Welt. Ausgeblendet hingegen bleibt meist, wie hart, wie langwierig und leidensvoll der Weg zu Olympia für die Auserwählten des internationalen Spitzensports wirklich ist. Und wie bitter der Traum von der Teilnahme selbst für die Hoffnungsvollsten enden kann – sogar Millimeter vor dem Ziel, um im Bild zu bleiben.

„Nein, Rio ist kein Traum für mich“, sagte Leon Rohde, Wedels hoffnungsvollstes Radsporttalent. „Für mich ist es zu einem realistischen Ziel geworden.“ Das war 2014, kurz vor Weihnachten. Wir saßen uns im Haus der Familie am Moorweg in Wedel gegenüber. An dem Tisch sitzen wir jetzt wieder. Leon Rohde ist schmaler geworden, auch kraftvoller und erwachsener. Ein selbstsicherer, besonnener junger Mann.

Mit 14 Jahren verließ er seine Heimat, um als Radsportler Karriere zu machen

Der Schuljunge war 14, als er den Mut fand, die Familie, die Schule, die Stadt zu verlassen, um im Sportinternat in Cottbus ein toller Radsportler zu werden. Er war 18 und vierfacher deutscher Nachwuchsmeister auf der Bahn, als ihn Bundestrainer Sven Meyer zu den acht Auserwählen holte, mit denen er dem deutschen Bahnvierer nach Jahren der Tristesse wieder zu internationalem Glanz verhelfen wollte.

Eine frohe Botschaft kam dann am 17. Januar aus Hongkong: „Der deutsche Bahnvierer ist zurück auf der Olympiabühne.“ Und Leon Rohde, das zielstrebige Talent gehörte dazu. Gemeinsam mit Leif Lampater aus Rosenheim (er fuhr 2004 in Athen im letzten deutschen Olympiavierer), mit Nils Schomber aus Neuss und Domenic Weinstein aus Villingen hatte der 20 Jahre alte Wedeler die letzte Qualifikationshürde für die Spiele mit den fünf Ringen genommen. Konnte der Flug nach Rio also gebucht werden? Nach seiner großen Leistung in Hongkong durfte Leon Rohde eigentlich sicher sein. Inzwischen aber, am Tisch im Elternhaus, hat er Rio aus seinem Karriereplan gestrichen. Vorerst jedenfalls.

Der Bundestrainer zog die Konsequenz aus Leon Rohdes Leistungsschwäche

Wie und warum seine Olympia-Hoffnung doch noch zerbrach, kann Leon Rohde sachlich nüchtern erklären. „Nach der Rückkehr aus Hongkong hat mich eine Grippe erwischt. Ich hatte Fieber und war danach bei der WM-Vorbereitung in Frankfurt an der Oder nicht topfit.“ Als er nach der intensiven Trainingswoche am 15. Februar zum Einzelgespräch gerufen wurde, hatte er schon Druck im Magen. Neben Bundestrainer Sven Meyer saßen ein Sportwissenschaftler und ein Trainingsdiagnostiker über den Kurven und Diagrammen, mit denen seine Leistungs- und Fitnesswerte genau festgehalten werden.

„Die Entscheidung des Bundestrainers, mich aus dem WM-Kader auszuschließen, war absolut fair“, sagt der Wedeler und bleibt erstaunlich cool dabei. „Die mit dem Ersatzmann fünf von uns, die am Ende im deutschen Bahnvierer in Rio starten, werden zwar endgültig erst im Mai benannt. Aber die im aktuellen WM-Kader haben natürlich die größten Chancen. Mein Pech ist, die Bahnsaison ist für mich beendet. Ich habe keine Gelegenheit mehr, mich noch mit einer Topleistung zu empfehlen. Ich muss mit der Vorbereitung auf die Straßensaison beginnen.“

Die Olympischen Spiele in Rio, also Aus! Schluss! Abgehakt! So einfach ist das für einen jungen Menschen, der früh sein ganzes Leben auf den sportlichen Erfolg ausgerichtet hat, natürlich nicht. Aber die Auslese ist brutal hart im Spitzensport. Das wird im olympischen Glanz oft ausgeblendet.

Schließlich hat Leon Rohde in den sechs Jahren, in denen er für internationalen Erfolg trainiert hat und gedrillt wurde, schon 121.000 Kilometer abgespult. Er ist im Sattel also schon fast dreimal um die Welt gestrampelt, hat gekämpft und gelitten. Und dazu die Reisen rund um den Globus.

Die bittere Erfahrung hat den Wedeler nicht aus der Bahn geworfen

Dazu kommen die Bahn-Europameisterschaft in der Schweiz, ein Weltcup im kolumbianischen Cali, bei dem Leon Rohde mit Kersten Thiele das Zweier-Mannschaftsfahren gewann, sowie drei Trainingslager auf Mallorca. Und von dort ging es direkt zur geglückten Olympia-Qualifikation nach Hongkong. „Zwischen Oktober und Februar waren wir 90 Prozent unserer Tage zusammen“, sagt der vorerst Ausgemusterte. „Als Team sind wir acht in den zwei Jahren eng und freundschaftlich zusammengewachsen. Untereinander aber waren und sind wir die härtesten Konkurrenten. Denn es gibt für unseren Bahnvierer nun einmal nur fünf Flugtickets nach Rio.“

Die bittere Erfahrung hat den Ehrgeizigen aber nicht aus der Bahn geworfen. „Ich will eine starke Straßensaison fahren“, sagt er bei seiner Kurzvisite im Elternhaus. „Mein Ziel ist jetzt, einen Profivertrag zu erkämpfen, von dem ich zumindest sorgenfrei leben kann.“ Das ist aktuell in Deutschland knapp 40 Radsportlern gelungen.

Ob er nicht die Angst hat, mit 25 oder 30 Jahren doch mit leeren Händen dazustehen. „Nein“, kommt die Antwort von Leon Rohde energisch. „Ich habe im Sport gelernt, mit Leistungsdruck umzugehen. Ich kenne die Einstellung und den Weg, der zum Erfolg führt. Wenn ich mir eine Alternative zum Radsport aufbaue, werde ich auch dabei erfolgreich sein. Da bin ich mir ganz sicher.“