Fasten ist eine Sache, die eine Familie spalten kann. Es sei denn, man biegt sich die Regeln ein wenig zurecht

Wir sind eine gesundheitsbewusste Familie. Immer im Februar wollen wir fasten, die Chefin jedenfalls. „Frühjahrsputz“, ruft sie, noch gut gelaunt. Bei den Jungs scheitert Essensverzicht am Wachstumshunger.

Knabenmägen sind wie Fließbänder: immer rein, egal was, dafür ohne Unterlass. Zootiere sterben, wenn sie Kronenkorken, Plastiktüten oder Handy-Akkus verschluckt haben. Unsere Kinder rülpsen da höchstens leise, was wir für einen Erziehungserfolg halten. Ich habe angeregt, dass wir Handy- oder Fernseh- oder Computerspiele- oder Schlechte-Witze-Fasten machen könnten. Mäßige Resonanz. Könnte an den Kopfhörern gelegen haben.

Eltern wissen: Erziehen heißt Vorbild sein, führen durch Vormachen. Deswegen sind wir ausgesprochen diszipliniert beim Fasten, aber nicht dumm. Ich habe mir vergangenes Jahr auferlegt, keinen Wein zu trinken, an ungeraden Tagen keinen roten und an geraden keinen weißen, was man aber auch umgekehrt halten kann, je nach Menüfolge. Dieses Jahr stehen zur Fastenauswahl: Sigmund Gottlieb, Fenchel und Feuilletonisten, die ihre eigene schlechte Laune in Weltuntergangsaufsätzen verstecken.

Männerfasten ist tendenziell auf den Verzicht schlechter Laune angelegt, während Frauenfasten eine ernste Angelegenheit ist.

Die Chefin setzte Mitte des Monats ihren düsteren Detox-Blick auf und raunte: „Ich faste ab jetzt!“ Früher, als ich noch dachte, dass das Geheimnis langjähriger Beziehungen ein möglichst synchrones Leben und Reden sei, habe ich leichtfertigerweise gesagt: „Klar, ich auch, Schatz!“ Das war offensichtlich wohl ein Fehler.

Ich bin einfach nicht der Fastentyp; ein Hochleistungsmotor fährt ja schließlich auch nicht mit Gemüsebrühe. Die Chefin schnaubt verächtlich und blättert in ihrem Fastenbuch, das jedes Jahr neu angeschafft wird.

Fastenbücher sind wie Bibeln: Seit tausend Jahren steht dasselbe drin. Wir haben inzwischen bestimmt zwei Dutzend davon.

In dieser Saison ist optimistisches Grün dran, das farblich fast zum Sauerkrautsaft aus ökologischem Anbau passt, der plötzlich in der Küche steht. Sauerkraut ist eine leckere Beilage zum Schweinebraten, aber als Saft verschenkt. Schmeißt man Pommes weg und trinkt das Frittierfett? Eben. Hans besieht sich die Flasche genauer und hofft, sich verlesen zu haben. Aber „Sauerkirsch“ gibt die Farbe nicht her. Wir ahnen: Diese Küche sollten wir in den kommenden Wochen nach Geschlechtern getrennt nutzen.

Kampffasterinnen und Spaghetti Bolognese sind wie Merkel und Seehofer. Der Sauerkrautsaft jedenfalls ist ein Mahnmal, dass früher doch nicht alles besser war.

Fasten ist eine globale Angelegenheit. Katholiken und Protestanten legen los und darben Februar und März, die Orthodoxen im April, Muslime im Juni, dann überbrücken die Profi-Faster die Grillsaison mit Gottesmutterfasten, die Juden hungern an Jom Kippur im Oktober, was die Orthodoxen mit Adventsfasten kontern.

Buddhisten fasten während der Regenzeit von Juli bis Oktober oder jeden Tag ab 12 Uhr. „Warum tun die das?“, fragt Hans unschuldig. Ich bitte den Sohn sich vorzustellen, seine Mutter wäre Tochter eines orthodoxen Vaters und einer katholischen Mutter und ich wiederum Abkömmling einer buddhistischen – die armen Kinder. Wir hätten aber immer einen tipptopp Darm.

Während die Chefin schlechtlaunig im Westflügel in ihr Fastentagebuch greint, führe ich die Jungs auf eine Currywurst aus. Kauend überlegen wir, worauf wir verzichten würden. Bei unseren Landsleuten liegt Alkohol (67 Prozent) vor Süßigkeiten (66 Prozent), Fleisch (38 Prozent), Fernsehen (33 Prozent), und Computer/Internet (21 Prozent) sowie Autofahren (15 Prozent).

Ich schlage vor, dass wir uns dieses Jahr in der völlig ungewöhnlichen Kunst des Fastenfastens üben und ex­trem selbstdiszipliniert auf nichts verzichten außer auf das schlechte Gewissen. Wir könnten uns mit Bier, Limo und Gummibärchen vor den Fernseher legen und, Laptop auf den Knien, Kabanossi nagen.

Nachher fahren wir noch eine Runde Auto, aufs Land, dorthin, wo das Sauerkraut wächst, und kaufen für die Chefin einen ganzen Kasten leckeren Saft.