Grosshansdorf. Das Amt ha tnicht die richtige Adresse, die Post stellt falsch zu – nur ein aufmerksamer Großhansdorfer verhindert das Schlimmste.

Der Mittwoch vergangener Woche war ein trauriger Tag. Denn wir mussten uns auf dem Großhansdorfer Waldfriedhof von meiner Schwägerin verabschieden, die auf tragische Weise unerwartet gestorben war.

An diesem Satz merken Sie: Das hier könnte eine sehr persönliche Geschichte werden. Und das ist sie auch.

Gleichzeitig beinhaltet sie die Mahnung zu einer regelmäßigen Grabpflege. Sie wirft außerdem ein eher zweifelhaftes Licht aufs Denk- und Kombinationsvermögen einer deutschen Amtsstube – das betrifft vermutlich aber auch Mitarbeiter der Post – doch darüber hinaus erzählt sie ein unglaubliches Beispiel von Aufmerksamkeit und Empathie.

Doch der Reihe nach: Wo ich also schon mal da war, ging ich nach der Trauerfeier rasch zum Grab meiner Eltern. Es ist ein Doppelgrab, die offizielle Bezeichnung lautet H 186 und H 187; es liegt etwas schattig und feucht an einem Tannengehölz, einer Art grüner Wand. Die Pflege ist leidlich mühsam, und sie wurde, das muss ich zu meiner Schande gestehen, auch nicht überaus regelmäßig ausgeführt. So ist das wohl häufig, wenn zwischen Wohnsitz und Familiengrab eine Stunde Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln liegt. Und so ist das eben auch, wenn die Versprechungen der Angehörigen vor Ort, sich ab und zu mal auf dem benachbarten Friedhof sehen zu lassen, irgendwie in der Luft verpuffen. Das ist menschlich, wahrscheinlich.

Das Grab sah daher – gelinde gesagt – ziemlich schrecklich aus nach diesem Winter, der keiner war: Die Bodendecker verkümmert, die kleinen Ziertannen halb verfault, der Rhododendron zu üppig; vom – ebenfalls ungepflegten – Einzelgrab nebenan hatte das Unkraut rübergemacht, doch immerhin war der Stein dank meines Chemiewaffeneinsatzes im Herbst des vergangenen Jahres noch recht sauber. Meine Entscheidung war klar: Ich nahm mir augenblicklich vor, das Grab umzugestalten, und zwar diesmal mit der Hilfe eines Gärtners. Noch am selben Nachmittag verabredete ich mich mit einem Pflanzenexperten für den 9. März dieses Jahres.

Aber jetzt möchte ich Sie fragen: Glauben Sie an Zufälle? Oder glauben Sie vielleicht doch an unerklärliche kosmische Zusammenhänge? Denn exakt an diesem Mittwochabend nach der Trauerfeier für meine Schwägerin und dem anschließenden Grabbesuch erhielt ich eine MMS, also eine Multimedia-Nachricht mit Foto, auf mein Mobiltelefon, von einem mir unbekannten Michael P. aus Großhansdorf. Der schrieb: „Hallo Herr Schuller, ich meine, Sie und Ihren Vater vor sehr langer Zeit im Golfclub Hamburg-Ahrensburg gesehen zu haben. Den Aushang der Gemeinde Großhansdorf habe ich zufällig entdeckt, vielleicht von Interesse für Sie. Wenn nicht, bitte ich die Störung zu entschuldigen.“ Vor langer Zeit heißt: Herr P. hatte meinen Vater (Handicap 22) und mich (ich durfte sein Caddie sein) vor 40 Jahren gesehen. Gesehen, nicht gesprochen, wohlgemerkt.

Neugierig öffnete ich die angeheftete Nachricht, ein Foto des Aushangs der Gemeinde Großhansdorf. Diese „Bekanntmachung pflegebedürftiger Grabstätten“ lautete: „Da der Aufenthaltsort des Nutzungsberechtigten für diese Grabstätte unbekannt ist, werden gemäß §13 Abs. 7 der Friedhofssatzung vom 9.07.2001 die Namen der zuletzt in diesem Grab Bestatteten veröffentlicht. Sollten bis zum 04.03.2016 keine Angehörigen ermittelt werden, wird das Nutzungsrecht an dieser Grabstelle entzogen.“ Zu Deutsch: Am darauffolgenden Tag wäre das Grab, obwohl die Nutzungsdauer erst in zehn Jahren abläuft, eingeebnet worden.

Das sagte jedenfalls die freundliche Mitarbeiterin des Friedhofsamtes der Waldgemeinde Großhansdorf, bei der am Donnerstagmorgen am Telefon „sofort etwas klingelte“, als ich meinen Namen nannte. Ja, meinte sie, es habe da nämlich schon vor eineinhalb Jahren eine Beschwerde der Friedhofsgärtner gegeben, und man habe mich daraufhin auch angeschrieben – nur hätte ich mich ja leider nicht gemeldet. „Was auch nicht verwunderlich ist“, warf ich schüchtern ein, „da ich mich an kein derartiges Schreiben erinnern kann.“

„Doch, Sie haben von uns ein Schreiben bekommen. Sogar zwei Mal“, beharrte die Dame und begann dann alle meine (ehemaligen fünf) Meldeadressen aufzuzählen – allerdings bis auf die entscheidende, die sechste, die aktuelle Hamburger Adresse nämlich, unter der mich jeder, der will, seit vier Jahren in Hamburg finden kann. „Die Schreiben sind schließlich in Barsbüttel erfolgreich zugestellt worden!“, sagte sie.

Ein Hinweisschild oder ähnliches am Grab gab es nicht

Ah ja. Barsbüttel. Stimmt. Da hatte ich tatsächlich mal gelebt, und zwar von 1990 bis 1993 … „Und was wäre dann am 9. März gewesen, wenn ich mich mit dem Gärtner am Grab meiner Eltern getroffen hätte?“, fragte ich. „Das wäre wohl eine Katastrophe gewesen“, antwortete sie, nun hörbar betroffen, und da wollte ich ihr wirklich nicht widersprechen.

Um es kurz zu machen: Bei meinen insgesamt acht, offensichtlich erbärmlichen, Grabpflegeversuchen innerhalb der vergangenen 18 Monate hatte ich keine Benachrichtigung, etwa in Form eines Schildes („Bitte melden Sie sich bei der Friedhofsverwaltung“), vorgefunden. Dafür lebte ich offenbar als Phantom in Barsbüttel, wo man die Briefzusteller vielleicht besser auf ihre Eignung hin überprüfen sollte. Doch auch ein genauerer Blick ins Melderegister sei der Großhansdorfer Gemeindeverwaltung an dieser Stelle empfohlen. Ja, und ich werde mich natürlich künftig intensiver um die letzte Ruhestätte meiner Eltern kümmern.

Vor allem aber möchte ich mich bei Herrn P. aus Großhansdorf bedanken, der zufällig in einer regnerischen Fe­bruarnacht durch den Barkholt spazieren ging, genauer hinschaute, nachdachte, aufwendig meine Kontaktdaten recherchierte, mit sich zunächst selbst rang, bevor er mir eine Nachricht schickte. Womit er jedoch in dieser Geschichte eine wahrhaft bemerkenswerte Rolle spielt – zu meinem großen Glück.

P.S.: Das Entschuldigungsschreiben der Gemeinde Großhansdorf ist am Dienstag per Post eingetroffen. An der richtigen Adresse.