Washington.

Wieder Tatort Schule. Wieder sterben junge Menschen in Amerika durch Waffengewalt. Aber diesmal ist vieles anders. Kein Zorn auf Lehrer, Gott und die Welt löst die Tragödie aus. Sondern verschmähte Liebe. Zwei Mädchen finden dabei den Tod. Sie waren erst 15. Eine von ihnen hatte in sozialen Netzwerken seit Wochen unheilvolle Andeutungen gemacht.

Wer ihre Fotos im Internet sieht, das ansteckende Lächeln, die dunklen, wachen Augen hinter den Brillengläsern, versteht sofort, warum May Kieu von Klassenkameraden als „fröhliches, großartiges“ Mädchen beschrieben wurde. In einem Schul-Musical der Independence Highschool in Glendale (Arizona) über die berühmten Cartoon-Figuren der „Peanuts“ sollte die Tochter chinesischer Einwanderer bald eine tragende Rolle übernehmen. Sie war eine ausgezeichnete Schachspielerin, stand kurz vor den ersten Fahrstunden und sehnte sich nach einem Stipendium für die Universität.

Jetzt ist May Kieu tot. Erschossen vor der Schulcafeteria von ihrer Freundin Dorothy Dutiel, ebenfalls 15, die sich danach selber die Pistole an den Kopf setzte und abdrückte. So erzählt es unter Tränen Phuong Kieu, Lehrerin für Naturwissenschaften an der von 2000 Jugendlichen besuchten Lehranstalt im US-Bundesstaat Arizona – und Schwester von May.

Nach ihren Schilderungen, die von der Polizei inoffiziell bestätigt werden, waren die Zehntklässler May und Dorothy seit fünf Jahren eng befreundet. Klassenkameraden sprechen von einer echten „Beziehung“, auch wenn das Wort lesbisch nie fällt. Die Gefühle, sie müssen am Ende ungleich verteilt gewesen sein. Dutiel, die auf Instagram und Twitter die Bewunderung für ihr „sweetheart“ kaum verbergen konnte, wollte mehr, sagte Phuong Kieu dem TV-Sender ABC.

May dagegen sei auf Distanz gegangen, habe Schluss machen wollen. In einem Abschiedsbrief, den die Polizei am Tatort zusammen mit der Waffe fand, soll der emotionale Ausnahmezustand, in dem sich Dorothy Dutiel zuletzt befunden haben muss, beschrieben sein.

Über eine Crowdfunding-Seite waren bis gestern über 13.000 Dollar an Spenden für die Beerdigung des Mädchens zusammengekommen. Für Angehörige und Freunde dreht sich nun alles um die Frage: Warum? Warum hat niemand die seelischen Abgründe bemerkt, in die Dorothy Dutiel blickte? Warum hat niemand eingegriffen? Wer die Twitter-Einträge des Teenagers mit der gepiercten rechten Augenbraue liest, bekommt eine Ahnung von der Verzweiflung. „Wer sonst ist noch bereit, sich zu erschießen?“, heißt es da an einer Stelle. Oder: „Ich kann sie nicht glücklich machen.“ Anfang Februar schrieb Dutiel: „Ich bin so fertig.“ Und dann, am Tag vor der Tat, nur zwei Worte und ein Emoticon: Good bye :(

Liebeskummer gilt unter Experten als extreme Herausforderung in der Pubertät. Dieser seelische Schmerz sei „bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen häufigster Auslöser für Selbstmord, die zweithöchste Todesursache in dieser Altersgruppe nach Unfällen“, so die Psychologin Annette Schmitt von der Universität Oldenburg. Vor allem Mädchen im Alter von 13 und 15 gehörten zu den Betroffenen, hat eine Studie der Leipziger Uniklinik ergeben.