Ahrensburg. Förderverein will basisdemokratische Neuentscheidung über die Entwidmung einer Kirche. Heftige Debatte und Klagen über ruppigen Umgang.

Ursula Wegmann hatte eine bewährte Form, die gemeinhin als innere Sammlung der Gedanken dient, als Einstieg in eine schwierige Debatte gewählt. Die Pastorin eröffnete die Ahrensburger Gemeindeversammlung mit einer Andacht und einem Lied, dessen Text ein optimistisches Signal setzte: „Der Lärm verebbt, und die Last wird leichter.“

Dass es trotz guter Vorsätze wieder ein schwieriger, vor allem aber ein langer Abend werden könnte, wurde gleich danach klar, als Anträge zur Tagesordnung gestellt wurden: Pastorin Wegmann hatte das Ende der Versammlung auf 21.30 Uhr festlegen wollen, was von der Mehrheit der Gemeinde korrigiert wurde. Open end war angesagt – Redebedarf gibt es reichlich in der Kirche.

„Wir brauchen eine andere Kommunikationskultur. Mich entsetzt, wie Redebeiträge hier abgebürstet worden sind,“ sagt Wiebke Pinkowsky, Mitglied der Ahrensburger Gemeinde
„Wir brauchen eine andere Kommunikationskultur. Mich entsetzt, wie Redebeiträge hier abgebürstet worden sind,“ sagt Wiebke Pinkowsky, Mitglied der Ahrensburger Gemeinde © HA | Lutz Wendler

Der Reihe nach. Die Versammlung am Montagabend war die zweite, zu der das Beauftragtengremium (BAG) der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde eingeladen hatte. Das BAG war berufen worden, nachdem der Kirchenkreis Hamburg-Ost den alten Kirchengemeinderat 2014 aufgelöst hatte, weil der wegen des Rücktritts von mehr als der Hälfte seiner Mitglieder nicht mehr beschlussfähig war. Die Auflösung des Kirchengemeinderats war ein weiterer Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen Kirchenleitung und Teilen der Gemeinde, die von gegenseitigem Misstrauen geprägt sind. Das Verhältnis ist ebenso belastet durch die langwierige Aufarbeitung des 2010 bekannt gewordenen Ahrensburger Missbrauchsskandals wie durch den Streit um die St. Johanneskirche, die 2014 aus Kostengründen entwidmet werden sollte.

Der rasch gebildete Förderverein hatte dagegen vehement protestiert, unter anderem mit Andachten vor der geschlossenen Kirche, und diese schließlich durch eine Nutzungs- und Finanzierungsvereinbarung vorläufig gerettet. Doch schon bald gab es Streit um Vertragsinhalte, und es wurde ein Mediator eingeschaltet, der bis zum Sommer 2015 zu vermitteln versuchte.

Förderverein kritisierte den Verkauf an den Verein Heimat

Es war bei dieser Vorgeschichte keine Frage, dass es jetzt um mehr als eine Bilanz des BAG nach mehr als einem Jahr Arbeit gehen würde. Der Förderverein, der Geld, Sachmittel und ehrenamtliches Engagement aufbringt, um St. Johannes lebendig zu erhalten, hatte bereits im Vorfeld kritisiert, dass Gemeindehaus und Pastorat an den Verein Heimat verkauft worden seien, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Nicht ganz unbegründet fürchtet der Förderverein, dass dadurch eine Vorentscheidung für die schlussendliche Entwidmung und den Verkauf von St. Johannes getroffen wurde.

Das Beauftragtengremium hatte sich gut vorbereitet und einen Experten eingeladen. Pastor Jürgen Barth ist Mitglied in der „Steuerungsgruppe für den Gebäudeprozess“, die sich mit dem Fortbestand kirchlicher Immobilien beschäftigt. Er zeichnete ein dramatisches Bild des Entscheidungsprozesses. Angesichts des drastischen Rückgangs der Gemeindeglieder um etwa ein Drittel seit 1990 und entsprechend schrumpfender Kirchensteuereinnahmen müssten Wege gefunden werden, wie die Kräfte künftig stärker gebündelt werden könnten. „Wir haben zuletzt immer mehr Geld für Steine und immer weniger für Mitarbeiter ausgegeben. Künftig wollen wir mehr in Menschen investieren“, sagte Barth und erzählte, dass in den 116 Gemeinden des Kirchenkreises Ost alle etwa 300 kirchlichen Gebäude – „die Hälfte davon sind Kirchen“ – auf den Prüfstand gestellt würden.

Es müsse mehr um Menschen als um Steine gehen

Die Folge dieser Evaluierung sei eine Prioritätenliste. Unverzichtbar seien die alten Gotteshäuser. quasi die „A-Kirchen“. Klar, dass die Ende des 16. Jahrhunderts erbaute Schlosskirche, eines der Wahrzeichen Ahrensburgs, gesetzt ist. Bleiben die beiden anderen Kirchen in Ahrensburg, neben St. Johannes und der Kirchsaal Hagen. Von beiden berichtete Barth, sie seien C-Kirchen, zur Not verzichtbar. Die Steuerungsgruppe schlägt einen Schlüssel von 5500 Gemeindemitgliedern pro Kirche vor – was für Ahrensburg mit knapp 12.000 Gemeindegliedern bedeuten würde, dass eine seiner Kirchen entwidmet und verkauft werden müsste. Die Vorentscheidung, die bereits 2013 vom alten Kirchengemeinderat gegen St. Johannes getroffen wurde, sieht Barth als bindend an.

„Mir ist klar, dass dieses Thema Emotionen weckt. Gebäude sind der Ort, an dem Kirche identifizierbar wird“, sagte Barth, doch letztlich müsse es mehr um Menschen als um Steine gehen. Im übrigen treffe die Landessynode der Nordkirche ihre endgültige Entscheidung erst im Frühjahr.

Mehrere Gemeindeglieder ließen keinen Zweifel daran, dass sie bis zuletzt versuchen werden, die Vorentscheidung gegen St. Johannes zu korrigieren. Der überraschende Beschluss von damals verärgerte große Teile der Gemeinde, weil sie vorher nicht informiert wurden. In einem Antrag forderte Klaus Tuch vom Förderverein, dass unter Beteiligung der ganzen Ahrensburger Gemeinde neu darüber abgestimmt werden soll, welche Predigtstätte Bestand haben solle. Mit anderen Worten: Eine basisdemokratische Wahl soll darüber entscheiden, ob St. Johannes oder der Kirchsaal Hagen weiter besteht. Der Antrag bekam eine klare Mehrheit. Aber: Er verpflichtet das Beauftragtengremium nur, die Empfehlung zu prüfen und zu entscheiden. Annahme und Umsetzung dieses Antrags sind also ungewiss.

Rauer Ton und ruppige Beiträge

Der lange Abend strapazierte einige Teilnehmer sichtlich – was zu einem zunehmend rauen Ton beitrug, den Pastorin Wegmann mit ihren oft ruppigen Beiträgen noch forcierte. Beschwerden darüber konterte die Pastorin mit dem Satz: „Es ist gut, auch mal straight zu sein.“ Dem entgegen stand das gestresste, aber versöhnliche Fazit des Gemeindemitglieds Wiebke Pinkowsky, die ausdrücklich lobte, dass sich Propst Hans-Jürgen Buhl der Verantwortung gestellt und Antworten gegeben habe. Ihr Fazit: „Wir brauchen eine andere Kommunikationskultur.“ Das sah der Propst nicht anders, als er feststellte: „Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Und wir dürfen nicht alles schlechtreden, auch wenn hier noch vieles schwelt.“

Vielleicht sollte man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner besinnen, den Glauben. Und das abschließende Lied nach vierstündiger heftiger Debatte als Mahnung für einen Neuanfang nehmen, der mit der verkündeten Wahl eines neuen Gemeinderats am 27. November erfolgen könnte: „Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen und neu beginnen, ganz neu, da berühren sich Himmel und Erde, dass Frieden werde unter uns.“