Hamburg. Ralf Martin Meyer warnt: Es ist besorgniserregend, wie das Sicherheitsgefühl nach den Silvester-Übergriffen gelitten hat

Antonia Thiele

Nach den sexuellen Übergriffen auf dem Kiez und dem Jungfernstieg in der Silvesternacht greifen immer mehr Hamburger zu drastischen Selbstschutz-Maßnahmen. Wie Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer im Interview mit dem Abendblatt sagte, seien die Anträge auf den Kleinen Waffenschein „sehr stark gestiegen“. Es sei besorgniserregend, wie das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung in den vergangenen Monaten gelitten habe, so Meyer weiter.

Den Kleinen Waffenschein gibt es seit 13 Jahren. Er berechtigt unter anderem dazu, frei erwerbliche Waffen wie Gas- und Schreckschusspistolen in der Öffentlichkeit mit sich zu führen. Wie hoch genau die Zahl der Anträge ist, die zurzeit eingehen, sagt die Polizei nicht. „Fakt ist aber, dass wir seit Ende des vergangenen Jahres merken, dass wir deutlich mehr Anträge bearbeiten als zuvor“, so ein Sprecher.

Seit Ende des Jahres und vor allem in den Wochen nach Silvester ist auch die Nachfrage nach Pfefferspray und das Interesse an Selbstverteidigungskursen stark gestiegen. Meyer erklärte, die Polizei werde sogenannten Bürgerwehren, die sich derzeit in der Stadt bilden, von ihrem Tun abraten. Er warnte davor, dass Privatleute „den Helden“ spielten. Bezogen auf die Einsätze in Flüchtlingsunterkünften, die zuletzt 0,8 Prozent der gesamten Einsätze ausmachten, gab er sich zuversichtlich. Ein besseres Deutsch- und Freizeitangebot könnte seiner Ansicht nach dafür sorgen, dass die Polizei an dieser Stelle weniger gefragt sei.

Zudem tritt Meyer für eine Verschärfung des Sexualstrafrechts ein. „Die Opfer müssen es als geradezu lächerlich empfinden, dass Tatbestände, die von der Handlung her als sexuelle Nötigung empfunden werden, lediglich als Beleidigung eingestuft werden“, sagte er mit Blick auf die massenhaften Übergriffe. Bei den Tätern scheine es sich um junge nordafrikanische Männer zu handeln, die „Probleme mit unseren Werten haben“. Die Polizei ermittelt auch, ob aus dieser Tätergruppe Polizisten bespuckt und mit Feuerwerkskörpern beschossen worden sind.

Sind junge Männer mit solchen Hintergründen überhaupt zu integrieren? „Wir haben zwar eine bessere soziale Situation, leben in stabileren Verhältnissen. Trotzdem wird es schwierig, derart sozialisierte Menschen in andere Bahnen zu lenken. Um die müssen wir uns ganz intensiv kümmern, auch wir als Polizei“, so Meyer. Rechtlichen Anpassungsbedarf sieht der Polizeipräsident bei der Abschiebepraxis. In vielen Fällen sei es kaum möglich, Intensivtäter abzuschieben, weil dem „Hinderungsgründe“ wie das Fehlen von Ausweispapieren entgegenstünden. „Man muss schauen, inwieweit sich künftige Rechtsänderungen auf die Abschiebepraxis auswirken.“

Inzwischen gingen bei der Polizei rund 220 Strafanzeigen von etwa 350 Opfern ein, weil sie in der Silvesternacht in Hamburg sexuell belästigt oder bestohlen worden waren. Als Konsequenz werde die Polizei auch künftig an den Wochenenden auf dem Kiez stark präsent sein. Für eine bessere Erkennbarkeit würden die Polizisten mit Leuchtwesten ausgerüstet.

Seite 10 Das Interview mit Meyer