Das mühsame Kultivieren der Sexualität. Wir brauchen vermehrt Aufklärungsunterricht, humor- und respektvoll, aber gnadenlos deutlich

Wer hierzulande nach 1968 aufgewachsen ist, konnte sich dem nationalen Aufklärungsdruck kaum entziehen: Ratz & Rübe sorgten sonntags in der ZDF-„Rappelkiste“ für tabufreien Umgang mit Liebe, Sex und Kinderkriegen. Lehrer lachten künstlich laut, wenn Schüler „Pimmel“ sagten. Dr. Sommer kümmerte sich um Dramen wie: „Ich bin schon sieben und habe immer noch kein Schamhaar.“

Die Eltern damals, sofern keine Nudisten, schauten eher mit verschämtem Interesse zu: Unter Aufklärung hatten sie bisher was mit Kant verstanden und ihre Fortpflanzungskenntnisse aus den Witzen von Fips Asmussen bezogen.

Immerhin: Der gründliche Kampf gegen das Tabu hat das Land verändert, vor allem die Jungs. Auch wenn Alice Schwarzer dementiert: Ein Teil der deutschen Männer hat seither Spuren sexueller Reife entwickelt, die untrennbar verknüpft ist mit einem fairen Frauenbild. Die erzieherische Kraft des großartigen Rollenspielers David Bowie, der vorige Woche starb, ist dabei übrigens nicht zu unterschätzen. Beim mühsamen Kultivieren der Sexualität bleibt dem deutschen Mann noch viel zu üben, doch global darf er sich als halbwegs fortschrittlich betrachten. Denn anderswo auf der Welt herrscht oft das Tabu mit all seinen Kollateralschäden.

Bis auf die Tantriker, die Körper und Lust feiern, setzen die Weltreligionen bis heute auf Verbote beim ewigen Reizthema.

Die einen predigen Schleier, die anderen Zölibat, zuverlässig wird Aggression erzeugt oder Missbrauch begünstigt wie aktuell bei den Regensburger Domspatzen; immer ist was schmutzig oder unnormal, und am Ende geht es zu oft ums Patriarchat. Aufgeklärte Sexualität aber braucht Männer, die Macht teilen.

Warum sind diese modernen Männer so selten zu sehen?

Warum greifen sie nicht allerorten ein, sobald Frauen behelligt werden?

Sexualisierte Gewalt ist nicht nur Thema von Polizei und Frauen, sondern auch von Männern und Männern. Die Aufgeklärten dürfen, nein, müssen Geschlechtsgenossen mit Tendenzen zum Kontrollverlust jederzeit klarmachen, wo die Grenzen sind.

Wie damals braucht das Land vermehrt Aufklärungsunterricht – tabufrei, humor- und respektvoll, aber gnadenlos deutlich.