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Wäre Jesus im Jahr 2015 auf die Welt gekommen, würden wir vielleicht nicht am 24. Dezember Heiligabend feiern. Sondern an einem Termin, den Maria mit den Ärzten vorher besprochen hätte. Sie hätte ihren Sohn per Kaiserschnitt auf die Welt bringen können – so wie etwa jede dritte Frau in Deutschland, wie das Statistische Bundesamt für 2014 feststellte. Dabei empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nur bei höchstens 15 Prozent der Schwangerschaften eine sogenannte Sectio. Experten erklären die Gründe – und warum natürliche Geburten oft besser sind.

Warum werden so viele Kinder
per Kaiserschnitt entbunden?

„In den späten 90er-Jahren ist die sogenannte Wunschsectio, der Kaiserschnitt ohne medizinische Indikation, für Frauen attraktiver geworden“, sagt Professor Birgit Seelbach-Göbel, Chefärztin der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität Regensburg und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) in Berlin. Die Gründe aus ihrer Sicht: Der Eingriff ist planbar, vermeintlich weniger anstrengend und wird als Lifestyle-OP angesehen, die Prominente wie Claudia Schiffer auch machen lassen.

Für Ärzte ist die Sectio dagegen oft eine Alternative zu komplizierten vaginalen Geburten, sagt Susanne Steppat vom Vorstand des Deutschen Hebammenverbandes in Berlin: „Vielen Geburtshelfern fehlt das Erfahrungswissen, wie sie mit schwierigen Geburtssituationen umgehen sollen. Dazu gehören etwa Beckenendlagen, bei denen das Kind zuerst mit dem Popo zur Welt kommt.“ Birgit Seelbach-Göbel ergänzt: „Eine später sehr kritisierte Studie suggerierte, dass eine Sectio weniger Risiken für das Kind beinhalte. Deshalb wird in vielen Abteilungen die vaginale Geburt bei Beckenendlage nicht mehr gelehrt und gelernt.“

Zudem fehlen nach ihren Worten oft die Ressourcen, jederzeit einen sogenannten Notkaiserschnitt durchzuführen. Ein präventiver Kaiserschnitt sei leichter organisierbar, zudem sei der Erlös rund 1000 Euro höher als bei einer vaginalen Geburt.

Ist die Zunahme eine
bedenkliche Entwicklung?
Ja – da sind sich die Expertinnen einig. Laut der Frauenärztin Seelbach-Göbel leidet das Kind nach dem Kaiserschnitt häufig unter Anpassungsschwierigkeiten. „Das betrifft vor allem die Atmung, die sich schlagartig umstellen muss. Manchmal muss erst das Fruchtwasser aus dem Rachen und der Luftröhre abgesaugt werden, damit sie sich normalisiert.“ Darüber hinaus werde spekuliert, ob die psychische Entwicklung beeinträchtigt sein könnte.

Bei Müttern kann es zudem zu Wundheilungsstörungen und Verwachsungen im Bauch kommen, vor allem haben sie eine Narbe in der Gebärmutter. Deren Wand könne bei weiteren Schwangerschaften reißen, oder der Mutterkuchen sich nicht richtig im Körper einnisten. Solche Komplikationen können im schlimmsten Fall zum Tod von Mutter und Kind führen.

Wann ist eine Geburt per
Kaiserschnitt angeraten?

Ärzte unterscheiden zwischen einem primären, also geplanten, und einem sekundären Kaiserschnitt nach Geburtsbeginn. „Hat das Kind Fehlbildungen oder liegt quer beziehungsweise ist die Mutter schwer krank, dann kann ein geplanter Kaiserschnitt notwendig sein“, erläutert Hebamme Steppat. Die Frauenärztin Birgit Seelbach-Göbel fügt hinzu: „Während der Geburt stellen eine Mangelversorgung des Kindes mit Sauerstoff, ein Geburtsstillstand über viele Stunden und eine drohende Infektion die häufigsten Indikationen für einen Kaiserschnitt dar.“

Wie kann der Arzt bei der
Entscheidung helfen?
Susanne Steppat plädiert für eine intensivere Betreuung durch Hebammen: „Im Mutterpass geht es nur um Risiken bei der Geburt, dabei müssten die Frauen das Vertrauen vermittelt bekommen, dass sie eine normale Geburt gut schaffen können.“

Birgit Seelbach-Göbel empfiehlt die Beratung durch den Frauenarzt angesichts der Befunde. Er sollte etwa bei einer Beckenendlage wissen, welche Kliniken vaginale Geburten durchführen. Der Tipp der beiden Spezialistinnen: direkt in der Klinik nachfragen.

Was sind Vor- und Nachteile
im Vergleich zur vaginalen Geburt?

Sind Frauen früher häufig bei einer Sectio gestorben, ist dieses Risiko heute gering. Allerdings ist der Kaiserschnitt eine Operation, die nie ohne Risiko ist. Der Vorteil einer natürlichen Geburt sei, dass normalerweise das Kind bestimme, wann es geboren werden will, sagt Birgit Seelbach-Göbel. Beim Weg des Kindes durch den Geburtskanal wird dann zudem das Fruchtwasser aus der Lunge herausgepresst, und sie kann sich optimal entfalten, erklärt die Frauenärztin. „Grundsätzlich ist der Kaiserschnitt der Schlüssel zu Geburten, die sonst nicht möglich wären“, sagt Hebamme Susanne Steppat.