Waldshut-Tiengen.

Ist die Antibabypille eine Gesundheitsgefahr? Die Frage ist nicht neu. Doch jetzt wird sie vor einem Gericht verhandelt. Vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen in Baden-Württemberg hat der Prozess um den juristischen Streit einer Klägerin gegen den Leverkusener Arzneimittelkonzern Bayer begonnen.

Die 31-jährige Felicitas Rohrer macht die Pille mit ihrem Wirkstoff Drospirenon für gesundheitliche Probleme verantwortlich. Nach der Einnahme der von Bayer entwickelten und vertriebenen Pille Yasminelle habe sie im Juni 2009 eine Lungenembolie erlitten. „Ich bin daran fast gestorben“, heißt es in der Klageschrift. Nur durch eine Notoperation sei sie gerettet worden. Bis heute, so Rohrer, leide sie unter gesundheitlichen Folgeschäden. Sie sei demnach körperlich dauerhaft eingeschränkt, kann keine Kinder bekommen. Nun fordert sie von dem Konzern rund 200.000 Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld.

Neue Pillen sind riskanter

Der Pharmakonzern halte die Klage für unbegründet, sagte ein Sprecher. Durch Studien sei bestätigt, dass von der Antibabypille und von dem Wirkstoff bei korrekter Einnahme keine Gefahr ausgehe. Eine schnelle Einigung ist also nicht in Sicht. Dabei kennt Bayer juristische Auseinandersetzungen um die Antibabypille. In den USA hatten mehrere Tausend Frauen gegen den Konzern geklagt. Bis Anfang dieses Jahres schloss der Konzern den Angaben zufolge rund 9000 Vergleiche in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Dollar ab, ohne jedoch eine juristische Verantwortung anzuerkennen.

Arzneimittelexperte Prof. Glaeske von der Universität Bremen kritisiert, dass außergerichtliche Einigungen keine Wirkung für nachfolgende Konsumentinnen haben. „Ich begrüße es, dass ein Prozess stattfindet, denn so werden bestenfalls Nutzen und Risiken deutlich gemacht.“ Und die Risiken einer Thrombose, die einer Lungenembolie vorausgeht, hält der Pharmazeut gerade bei den Pillen der sogenannten dritten und vierten Generation für doppelt so hoch wie bei den Pillen der zweiten Generation. Glaeske: „Bei der Pille der zweiten Generation gibt es 6 bis 7 Thrombose-Fälle bei 10.000 Frauen, die die Pille über ein Jahr nehmen. Bei den neueren Pillen, die seit den 2000er-Jahren auf dem Markt sind, liegt das Risiko bei 12 bis 14 Fällen.“

Die Hormone Dienogest, Desogestrel, Chlormadinon, Drospirenon und Nomegestrol, die in den neuen Pillen enthalten sind, gelten als risikoreicher. „Sie haben aber keine höhere Wirksamkeit. Der Schutz vor Schwangerschaft war schon bei den älteren Pillen maximal“, erklärt Glaeske. Trotzdem würden Ärzte zu 75 Prozent die neuen Präparate verschreiben. Bei gleichem Schutz und höherem Risiko.

Aber warum? „Es liegt an den Marketingstrategien der Pharmakonzerne. Sie verkaufen den Ärzten die Arznei als Wellness-Produkt“, sagt Prof. Teichmann, Chefarzt des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau. „Sie sollen schönere Haare und Haut machen.“

Auch Prof. Glaeske kritisiert, dass die Grenze zwischen Arznei und Kosmetik verschwimme. „Manche Produkte werden mit Schminkspiegelchen verpackt. Die Namen klingen wie eine Frauenzeitschrift.“ Das kommt gerade bei jungen Frauen an. Viele Ärzte hielten die verschriebenen Pillen für unbedenklich, weil sie den Zulassungsstudien vertrauten, auf die sich die Hersteller in ihren Hochglanzbroschüren berufen. „Die Medikamente werden aber meist nur an etwa 3000 Frauen getestet.“ Um das Thrombose-Risiko richtig einzuschätzen, bräuchte es jedoch rund 40.000 Anwenderinnen. Glaeske weiter: „Viele Ärzte befassen sich nicht mit Originalstudien.“

Bei der Pille müsse ganz besonders über Nebenwirkungen aufgeklärt werden. „Schließlich heilt die Pille keine Krankheit. Sie wird gesunden Frauen verschrieben. Unter Umständen aber schafft sie eine Krankheit.“ Für Klägerin Rohrer – Nichtraucherin, Sportlerin – eine besonders bittere Pille.