Im Drama „Stonewall“ zeigt Roland Emmerich ein Kapitel der Schwulengeschichte

Jahr für Jahr aufs Neue ziehen im Juli Zigtausende Lesben, Schwule und Transsexuelle am Christopher Street Day (CSD) über den Kudamm. Und ebenso viele Schaulustige säumen den Weg, Einheimische wie Touristen, um all das nackte Muskelfleisch und die schrillen Paradiesvögel zu bestaunen, die da für ihre Rechte demonstrieren. Nur, was Christopher Street Day eigentlich bedeutet, das wissen die Wenigsten.

Nun kommt mit „Stonewall“ ein Film ins Kino, der zeigt, wie es 1969 in New York zum ersten CSD kam und welche Straßenkrawalle mit Polizisten dem vorausgegangen waren. Seltsam genug, dass es 46 Jahre dauern musste, bis die Ereignisse zum Topos eines großen amerikanischen Spielfilms werden konnten. Noch seltsamer aber, dass erst ein deutscher Regisseur kommen musste, der offen schwul lebende Roland Emmerich, um es zu inszenieren. Ausgerechnet er, der mit allerlei Katastrophenfilmen von „Independence Day“ bis „2012 – Das Ende der Welt“ den zweifelhaften Titel als „Master of Desaster“ ergatterte und mit seinem ersten ernstzunehmendem Drama, dem Shakespeare-Film „Anonymous“, an den Kinokassen empfindlich floppte.

1969 hält man Homosexualität noch immer für eine Geisteskrankheit

„Stonewall“ nähert sich seinem Thema aus einer so einleuchtenden wie unoriginellen Perspektive. Da ist ein Junge aus der Provinz, den der Vater aus dem Haus wirft, weil er mit einem anderen Jungen rumgemacht hat. Es ist wohlgemerkt eine Zeit, in der man Homosexualität noch immer für eine Geisteskrankheit hält. Die Flucht nach New York scheint der einzige Ausweg. So strandet der junge Danny (Jeremy Irvine) also mit kleinem Koffer und großen Augen in der Großstadt. Steht erwartungsfroh unterm Straßenschild der Christopher Street. Und wird aufgenommen von einer Schar halbwüchsiger Gelegenheitsstricher, die ihn in die große, illustre Gay Community einführt, einschließlich der Stonewall-Bar.

Aber auch im Big Apple werden die Schwulen nur geduldet, nicht akzeptiert. Immer wieder kommt es zu willkürlichen Polizei-Razzien, bei denen Schwule und Lesben gedemütigt, verhaftet oder verprügelt werden. Der Neuankömmling erfährt das in der ersten Nacht am eigenen Leib. Dann kommt jener 28. Juni 1969, an dem die Schwulen nicht länger klein beigeben. Sondern sich wehren. Und den herbeigerufenen Polizei-Einheiten zeigen, dass sie doch mehr Manns sind, als man es ihnen nachsagt. Danny wirft den ersten Stein.

Bis es dazu kommt, sind allerdings schon anderthalb Stunden vergangen. Emmerich scheint zu bemüht, die ganze Spannbreite der Schwulengemeinde aufzuzeigen, von der offensiven Transe bis zur angepassten Klemmschwester, dass er kaum zu den eigentlichen Ereignissen kommt. So schrill er seine Männer zeichnet: Wenn es um Sexualität geht, belässt auch er es bei verschämten, im Halbdunkel angedeuteten Bettszenen. Offensichtlich möchte man das Massenpublikum nicht verschrecken.

Der Aufstand entlädt sich dann fast zufällig. er ist auch nur eine Nacht zu sehen, wiewohl sich die Straßenkrawalle auf vier Tage ausdehnten. Statt am Ende kämpferisch eine stolze, erstarkende Schwulenbewegung zu zeigen, gießt Emmerich wie in seinen Desaster-Movies ein klebriges Happy End über den Film. Da wäre mehr drin gewesen. Immerhin: Ein Anfang ist gemacht. Und vielleicht sagt auch das etwas über die heutige Akzeptanz von Schwulen: dass sie genauso glatten Mainstream machen können wie die anderen.

„Stonewall“ USA 2015, 129 Min., ab 12 J.,
R: Roland Emmerich, D: Jeremy Irvine, Jonny Beauchamp, täglich im Passage, Studio-Kino