Hamburg. Schauspielerin Christiane Hörbiger spricht im Interview über Armut, den Film „Auf der Straße“ und ihre Liebe zu Hamburg.

Die Schauspielerin Christiane Hörbiger, die morgen ihren 77. Geburtstag feiert, gehört zu den ganz Großen ihres Fachs. Übernimmt sie eine (Haupt-)Rolle im TV, ist dies meist ein guter Grund einzuschalten.

Hamburger Abendblatt: Sie spielen eine Obdachlose frei von Eitelkeit oder Mitleid. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Christiane Hörbiger : Indem ich hingeschaut habe, auf der Straße, im Bekanntenkreis. Text lernen und Beobachten sind die beste Vorbereitung. Ich hatte ein paar Freundinnen, die sich ganz auf ihre Männer verlassen haben, die keinen eigenen Beruf hatten. Ich kann nur davon abraten. Man gerät ganz schnell in die Armutsfalle. Man darf nie glauben, dass es einem selbst nicht passieren wird, zu verarmen. Man muss immer gewärtig sein, dass man auf einmal arbeitslos und ohne Mann dastehen kann. Jede Frau muss sich darauf vorbereiten. Auch die berufstätige. Jeder muss vorsorgen und an die Zukunft denken.

Haben Sie sich zu einem anderen Zeitpunkt Ihres Lebens schon einmal mit dieser Frage beschäftigt?

Hörbiger : Nein.

Wir alle sparen gerne die Fragen nach Krankheit und Armut aus. Haben Sie nach „Auf der Straße“ einen anderen Blick für Obdachlose?

Hörbiger : Ich habe mich ja schon lange vor dem ersten Drehtag damit beschäftigt. Ich sehe plötzlich Menschen, die in diese Situation geraten sind. Dazu zählt eine Frau, der ich oft begegne und die offenbar gerade verarmt. Noch sieht sie sehr gepflegt aus. Ich habe mich, ehrlich gesagt, geschämt, ihr Geld zu geben. Man gibt offenbar lieber etwas, wenn ein Mensch schon zerlumpt aussieht.

Eine der großen Ängste vieler Menschen ist es zu verarmen. Inzwischen geraten ja bereits weite Teile der Mittelschicht in die Armutsfalle.

Hörbiger : Das wusste ich nicht.

Kennen Sie Armutsangst?

Hörbiger : Die hatte ich immer. Immer. Die Angst, dass der Vorhang fällt, weil ich den Text nicht mehr kann. Und ich nie wieder eine Rolle bekomme. Gott sei Dank war das bisher grundlos. Und in meinem Alter ist es jetzt schon wurscht. Aber diese Angst ist furchtbar.

Was haben Sie dagegen gemacht?

Hörbiger : Dagegen kann man nichts machen. Da muss man durch. Man bekommt Panikattacken und beneidet jede Parfümerieangestellte um das Glück, ihr Geschäft abschließen zu können und nach Hause zu gehen, während man selbst sich fühlt, als gehe man aufs Schafott. Ich hatte oft Angst, ich würde verhungern, arbeitslos werden, könnte nicht mehr spielen. Ich kann ja nichts anderes als spielen.

Sie spielen häufig Frauen aus besseren Kreisen, Adlige, Unternehmerinnen. Gefällt es Ihnen besser, Alkoholikerinnen und Obdachlose zu spielen?

Hörbiger : Ich bin glücklich, wenn ich eine gute Rolle nach einem guten Drehbuch spielen darf. Natürlich ist es aufregend, eine Frau zu spielen, die einen tiefen Fall erlebt. Ich liebe ernste, soziale Stoffe. Davon habe ich in den letzten Jahren sehr viel gespielt. Ich habe zu meinem Produzenten Markus Trebitsch gesagt: ‚Jetzt bleibt mir wohl nur noch, auf dem Friedhof aufzutreten.‘ Ja, so war’s dann auch beinahe. Ich habe im Frühjahr einen Film zum Thema Sterbehilfe gedreht.

Sie lieben es, wenn – trotz aller Vorbereitung – bei den Dreharbeiten noch etwas Unvorhergesehenes passiert. Gab es das bei „Auf der Straße“ auch?

Hörbiger : Ja. Wir hatten echte Obdachlose als Komparsen dabei. In einer Szene hat mich einer von ihnen zum Tanzen aufgefordert, und wir haben gemeinsam angefangen zu singen. Das war improvisiert. So etwas liebe ich, wenn man nicht gebunden ist und nach der eigenen Fantasie loslegen kann.

Der Film ist so angenehm frei von Rührseligkeit, das macht ihn so wahr und ...

Hörbiger : ... norddeutsch, hoffentlich, preußisch. Ich habe die Rolle sehr gern gespielt.

Sie sind Wienerin, drehen aber sehr viel in Hamburg. Gerne?

Hörbiger : Ich liebe Hamburg. Es ist die schönste Stadt in Deutschland, gar keine Frage. Ich fühle mich hier fast zu Hause.