Kakteen wurden oft besungen, aber lange ignoriert. Jetzt entdecken Bars und Hipster die genügsamen Gewächse

Beim Erstkontakt mit Kakteen, den stacheligsten unter den Stammsukkulenten, müssen Kinder zwei Erfahrungen selbst machen. Dazu zählt, dass sich ein gereizter Kaktus besser ins Fleisch bohren kann als Excalibur und Biene Maja zusammen. Zweitens: dass man sich mit dem unpräzise verwendeten Plural schnell dem Verdacht aussetzt, eine bildungsferne Kacktusse zu sein. Ansonsten aber sind Kakteen pflegeleichte Gesellen erster Kajüte – zäh wie Opa und genügsam wie Oma. Bei guter Pflege können einige Exemplare 200 Jahre alt werden.

Dabei galt „Mein kleiner grüner Kaktus“, wie er von den Comedian Harmonists zärtlichst besungen wurde, lange als rückständiges Dekorationselement. Es musste erst 2015 werden, um im Dornen- wieder einen Sympathieträger zu erkennen, zumindest laut Deutscher Kakteengesellschaft. Demnach richten Hipster und Cafés gegenwärtig ihre botanischen Vorlieben in Richtung Dornen aus. Die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und Handgemachten lasse den Nelkenartigen in die Mitte der Gesellschaft zurückkehren – und zwar auch in jene Teile, die bisher wegen chronischer Gießhemmung noch jedes Grün kleingekriegt haben. Vor allem die kneipenaffine Gärtnergeneration „Faultier“ fühle sich vom anspruchslosen Mitbewohner angesprochen. Der Wohn-Blog „homestory“ jubelt schon: „Geradezu edel wirken die großen Stacheligen in goldenen und bronzenen Übertöpfen.“

Andererseits firmiert der Kaktus seit jeher als Palme des kleinen Mannes. Als ehrliche Haut, die sich in freier Wildbahn mit viel Sonne, wenig Wasser und etlichen Neidern herumschlagen musste, aus Notwehr seine Blätter zu Dornen spitzte. Unter den 1800 Arten hat es aber nur Echinocactus grusonii als Schwiegermutterstuhl in den Rang eines Unsympathen geschafft. Wobei der Volksmund weiß, dass kein Kaktus so dicht mit Stacheln besetzt ist, als dass er nicht noch Platz für eine Blüte hätte. Oder ein Lob von Helge Schneider: „Sommer, Sonne, Kaktus – Paella in the Bauch. Blauer Himmel, gute Laune – ja das ist hier der Brauch.“