Neue Umfrage zeigt: Die öffentliche Lektüre in Bus, Bahn und Wartezimmer ist eine Kulturtechnik, die viele Deutsche enorm neugierig macht

Irgendwer muss all die Romane mit den lebenslustigen Frauen, Kleidergröße 34 enger genäht, doch lesen, die tonnenweise in Buchhandlungen verklappt werden, sonst würden sie nicht gedruckt werden. Aber komisch: Sobald man sich umsieht, wer was liest – solche „Werke“ sind kaum dabei. Lesen unter Beobachtung ist auch kulturelles Hoserunterlassen. Greift jemand jenseits seiner Wohnung zum gedruckten Wort, weiß er, dass man auch in ihm liest wie in einem offenen Buch.

Züge, Busse, Cafés, Wartezimmer, Flugzeuge: Diese Orte sind die letzten, an denen man überhaupt noch beim Literatur-Verzehr besichtigt werden kann. Deswegen ist auch nicht verwunderlich, was nun eine Buchhandels-Studie herausbekam: Fast 60 Prozent der Deutschen sind so neugierig darauf, was in ihrer Gegenwart gelesen wird, dass sie versuchen, zumindest sachdienliche Hinweise auf den Titel zu erspähen. 13,5 Prozent der Befragten finden es nicht peinlich, das Gegenüber auf ihrer Lektüre anzusprechen. Und 24,6 Prozent würden nachfragen, ob’s denn auch schmeckt.

Das gute alte Bücherregal wird unterdessen mehr und mehr zum Prestige-Antiquariat und wird bald neben dem Walkman und dem Videorekorder im Museum der überflüssig gewordenen Kulturgüter landen. Jetzt passt mit einigen Klicks in ein elektronisches Buch-Imitat, was früher staubige Regalmeter füllte. Und falls einer der Hersteller bald auf die Idee kommt, Buchcover auf der Außenseite vom E-Reader in einem Extra-Display aufleuchten zu lassen, kämen ganz neue Inszenierungsmöglichkeiten auf Schau-Leser zu: das Zeitgeist-Geschwafel des Philosophen Peter S. als Tarnung für einen bluttriefenden Serienmörder-Krimi, Thomas Manns „Doktor Faustus“, obwohl die Lektüre aus der Biografie der Klitschko-Brüder besteht, oder auf der Hülle der gerade angesagte Intellektuellen-Bestseller als Blendwerk, von dem man – mal ganz unter uns – schon den albernen Klappentext nicht verstanden hat. Aber innendrin etwas ganz doll Schlimmes, das so ähnlich heißt wie „50 Abstufungen von Doof“.