Manchmal wird einem die Wahrheit dermaßen gnadenlos um die Ohren gehauen, dass man vor lauter Schreck nicht adäquat reagieren kann. Das blaue Kleid im Laden hing nur noch in den Größen 34 und 36 an der Stange. Ob es vielleicht auch noch in anderen Größen vorrätig sei, wollte ich von der Verkäuferin wissen. Nein, das seien die letzten, gab sie zurück, blickte mich dann betont abschätzig von oben bis unten an und fügte hinzu: „Sie brauchen doch mindestens 38. Oder eher 40.“ Verkaufsfördernd ist so etwas nun nicht gerade. Aber wenigstens bin ich nicht hässlich, hätte ich am liebsten geantwortet. Das heißt: Noch lieber hätte ich etwas ganz anderes geantwortet, doch das gehört nicht in eine Familienzeitung. Aber ich hielt den Mund und verließ das Geschäft. Selbstverständlich für immer.

Knapp daneben lag auch ein Kollege, der jüngst zum Blumenkleid einer Kollegin anmerkte: „Schönes Kleid! Sowas hat meine Oma auch immer getragen.“ Weil Blicke eben doch nicht töten können, überlebte er diese Frechheit.

Aber das war immer noch um Längen charmanter als der Spruch einer Bekannten, die einen Studienfreund nach vielen Jahren wiedertraf und ihn mit folgenden Worten begrüßte: „Mensch, bist Du dick geworden, auf der Straße hätte ich Dich nicht wiedererkannt.“

Voltaire wusste schon: „Alles was du sagst, sollte wahr sein. Aber nicht alles was wahr ist, solltest du auch sagen.“