Die Wahrheit über Wein, nüchtern betrachtet: Wer jünger als 30 Jahre ist, achtet beim Kauf nicht auf den Alkoholgehalt

In Zeiten, in denen es für erspartes Geld nullkommanix Prozent Zinsen gibt, sehnen sich die Menschen nach Höherprozentigem. Es herrscht eine Sucht nach den Hundertsteln, die den Wohlstand mehren. Die genussvollste Form, Prozente zu bekommen, ist in Flaschen abgefüllt. Wein enthält um die zwölf Prozent Alkohol. Wer zwölf Flaschen kauft, bekommt jedoch nicht 144 Prozent. Es gibt keinen Mengenrabatt, was Verbraucherschützer empört.

Mathematisch geschulte Ärzte warnen: Mit zunehmendem Weinkonsum wird die Leber entsprechend ihren gesteigerten Anforderungen prozentual fetter. Wein besteht zudem aus 85 Prozent Wasser. Es ist also ein Wunder, wie aus Wasser überhaupt Wein werden kann. An den restlichen drei Prozent kann es ja wohl nicht liegen. Außerdem ist beim Trinken ein deutlicher Schwund festzustellen: Prozente gehen rein, Promille kommen raus.

Das Weingut Albert Kallfelz aus Zell-Merl an der Mosel, ein erlesener Betrieb, ließ repräsentativ 1000 Weinkenner befragen, wie viel Prozente sie denn gern hätten (was Banken und Sparkassen nie fragen). Für jüngere Weintrinker spielt es demnach kaum eine Rolle, ob ein Wein viel oder wenig Alkohol enthält. Nur drei Prozent der unter 30-Jährigen achten beim Weinkauf auf den Alkoholgehalt. Bei den über 50-Jährigen sind es – nüchtern betrachtet – viermal so viele. Die Älteren haben mehr Erfahrung mit dem Getränk, weswegen Wein auch die Milch der Greise genannt wird. Doch Prozente sind beim Wein nicht alles.

Weine, die vom Alkohol geprägt sind, erweisen sich oft als eintönig. Sie können so schwer sein, dass die Zunge auf Stelzen geht. Auch wird der Verstand getrübt, wenn man reinen Wein einschenkt. Wer regelmäßig das Weintrinken trainiert, lernt gute von mäßigen Tropfen zu unterscheiden. Aber manche lernen es nie. Mark Twain, Jahrgang 1835, ein Auslese-Schriftsteller, notierte süffisant: „Die Deutschen lieben Rheinwein. Er wird in schlanke Flaschen gefüllt und für ein gutes Getränk gehalten. Von Essig unterscheidet er sich durch das Etikett.“