Ein möglicher Justizskandal erschüttert Niedersachsen: Der Celler Chefermittler Lüttig soll in den Fällen Wulff und Edathy vertrauliche Akten weitergegeben haben.

Celle. Ärger in Niedersachsen: Seit mehr als einem Jahr produziert die dortige Justiz eine Serie von Pleiten, Pech und Pannen. Seit diesem Freitag aber zeichnet sich sogar ein handfester Justizskandal ab: Die Staatsanwaltschaft Göttingen hat ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet: Gegen keinen Geringeren als den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig. Der Grund ist richtig brisant. Es geht um den Verdacht des Geheimnisverrats. Er soll Journalisten bei den Ermittlungen gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff in sieben Fällen mit vertraulichen Akteninhalten versorgt haben und in einem Fall bei den Ermittlungen gegen den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy.

Ermittelt wird, wie Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz in einer kurzfristig angesetzten Regierungserklärung im Landtag in Hannover weiter mitteilte, noch gegen eine weitere Person, deren Namen sie aus ermittlungstaktischen Gründen nicht nennen wollte. Die Ministerin erinnerte in diesem Zusammenhang an die weiter geltende Unschuldsvermutung und versprach: „So schwer der Vorwurf auch heute auf den Schultern der Justiz lastet, so wichtig ist die vollständige und lückenlose Aufklärung der Vorwürfe.“

Wulff attackierte Lüttig mehrfach für Aussagen

Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff hatte in seinem Gerichtsverfahren wegen des Verdachts der Vorteilsannahme vor Jahresfrist Lüttig mehrfach für öffentliche Aussagen attackiert. Und auch nach seinem Freispruch machte Wulff nie einen Hehl aus seinem Verdacht, Lüttig habe gezielt und vielleicht auch mit Indiskretionen versucht, ihm zu schaden.

Der Celler Generalstaatsanwalt war bis vor zwei Jahren Abteilungsleiter im Justizministerium in Hannover und gilt als enger Vertrauter des damaligen Justizministers und heutigen Landtagspräsidenten Bernd Busemann (CDU). Den wiederum verbindet mit dem Parteifreund und langjährigen Ministerpräsidenten Wulff eine in Jahrzehnten gewachsene Feindschaft.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, Grant Hendrik Tonne stichelte am Freitag umgehend: „Falls die Tatvorwürfe sich bewahrheiten, stellt sich vor allem die Frage, welche Motivation ein früherer hochrangiger Beamter im Landesjustizministerium haben kann, vertrauliche Informationen aus dem Ermittlungsverfahren gegen den damaligen Bundespräsidenten und Parteifreund Wulff zu verraten.“

Im Fall des ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wird schon lange gerätselt, wer in der SPD auch auf Landesebene schon früh von dem Verdacht erfahren haben könnte, der Politiker habe kinderpornografische Bilder oder Schriften bezogen. Und ähnlich wie im Fall Wulff gab es auch hier Medienberichte, die den Schluss zumindest nahelegten, die Informationen könnten eigentlich nur aus Kreisen der Justiz in und um Hannover stammen. Genau aus diesem Grund ermittelt die Staatsanwaltschaft Göttingen seit mehreren Monaten. Und das bisherige Ergebnis ist eben dieses förmliche Ermittlungsverfahren gegen Lüttig. Die Göttinger Behörde gehört zum Bereich des Generalstaatsanwalts in Braunschweig.

Im benachbarten Schleswig-Holstein haben sich in dieser Woche zwei Gerichtspräsidenten zum Narren gemacht, weil sie erfolglos versuchten, politische Unterstützung für die dortige Justizministerin Anke Spoorendonk (SSW) zu organisieren. Im Kieler Landtag stritten sie deshalb am Donnerstag hitzig darüber, ob dieser Fall ganz grundsätzlich das Vertrauen in die Justiz erschüttere. Bislang aber gibt es nur eine Prüfung, ob ein Disziplinarverfahren eröffnet werden soll.

Niedersachsens Justiz steht derzeit in keinem guten Licht

Im Vergleich dazu hat das förmliche Ermittlungsverfahren gegen den Generalstaatsanwalt Lüttig in Celle wegen Geheimnisverrats eine weitaus größere Dimension. Es gibt in der niedersächsischen Nachkriegsgeschichte keinen vergleichbaren Verdachtsfall. Wie die Ermittler ihm auf die Spur kamen, darüber gab es am Freitag keine Auskunft.

Das Strafverfahren gegen den früheren SPD-Abgeordneten Edathy soll am Montag kommender Woche vor dem Landgericht Verden beginnen. Hier wussten Medien vom Antrag der Justiz auf Aufhebung seiner Immunität vor der Bundestagsverwaltung. Und ganz ähnlich war es auch, als die Staatsanwaltschaft Hannover ein förmliches Ermittlungsverfahren einleitete.

Die Ermittlungen gegen Edathy gehören auch deshalb zur Serie von Pleiten, Pech und Pannen, weil die Fahnder anfangs eine Zweitwohnung des Politikers übersahen. Zudem stellte sich später heraus, dass die Immunität von Edathy noch gar nicht aufgehoben war, als die Ermittlungen anliefen.

In beiden Fällen wurden gleich ganze Protokolle öffentlich

Niedersachsens Justiz hat derzeit keinen besonders guten Lauf. Besonders peinlich ist zum Beispiel der aktuelle Fall des Richters Jörg L., der als leitender Mitarbeiter des niedersächsischen Justizprüfungsamtes Klausuren für das 2. Staatsexamen gegen Geld oder auch Sex verraten haben soll. Am kommenden Donnerstag soll vor dem Landgericht Lüneburg das Urteil gesprochen werden. CDU und FDP im Landtag verweisen darauf, dass ausgerechnet der Staatssekretär im Justizministerium den Mann – wenn auch ohne entsprechende Absicht – vor dem Ermittlungsverfahren gewarnt habe. Der verdächtige Richter konnte, auch weil er die Polizeibeschatter abschüttelte, nach Italien fliehen. Erst dort wurde er festgenommen und Monate später nach Deutschland ausgeliefert.

Die Anzeige eines Anwalts gegen unbekannt wegen Geheimnisverrats führte zum förmlichen Ermittlungsverfahren erst in der Causa Wulff und im Dezember auch in der Causa Edathy. Es waren in beiden Fällen nicht nur einzelne Fakten, sondern ganze Vernehmungsprotokolle öffentlich geworden.