Die Kanzlerin will sich nach den Verhandlungen von Minsk keinerlei Illusionen hingeben. Auch die Gesprächspartner Putin, Poroschenko und Hollande blicken dem vereinbarten Waffenstillstand noch mit Vorsicht entgegen.

Minsk. Die deutsch-französische Friedensinitiative für die Ostukraine hat nach Marathonverhandlungen in Minsk einen Durchbruch geschafft: Die vier Staats- und Regierungschefs Russlands, der Ukraine, Frankreichs und Deutschlands vereinbarten nach 16-stündigem Ringen um eine Konfliktlösung einen Waffenstillstand, den Abzug schwerer Waffen von der Front, mehr Rechte für die Rebellengebiete und die Rückerlangung der Kontrolle der Grenze zu Russland für Kiew bis zum Jahresende.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem Hoffnungsschimmer, der französische Präsident François Hollande von einer „Erleichterung für Europa“. Merkel betonte, sie habe keine Illusionen, die anderen Teilnehmer auch nicht. Es warte noch viel Arbeit, aber es gebe eine echte Chance, dass sich die Dinge zum Besseren wendeten.

Denn Fragen bezüglich der Umsetzung blieben. Russland und die Ukraine waren sich in ihren Bilanzen nicht in allem einig darüber, was sie eigentlich genau vereinbart haben. Putin teilte auf einer Pressekonferenz mit, der Waffenstillstand solle am kommenden Sonntag beginnen. Von da an erlangten die Rebellengebiete zudem einen Sonderstatus und würden humanitäre Fragen und die Kontrolle der ukrainisch-russischen Grenze in der Konfliktregion neu geregelt.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko erklärte, es gebe keine Einigung über eine Autonomie oder Föderalisierung der Ostukraine. Das war eine zentrale Forderung Russlands. Die Minsker Lösung: Das ukrainische Parlament soll den östlichen Regionen weitreichende Rechte zubilligen als Bedingung dafür, dass Kiew bis Jahresende wieder die volle Kontrolle über seine Ostgrenze bekommt.

Kompliziertes Kompromisskonstrukt

Das Abkommen ist ein kompliziertes Kompromisskonstrukt, das sowohl Russland als auch der Ukraine erlaubt, sich als erfolgreich darzustellen. Bei der Umsetzung gibt es viele Fallstricke: So ist beispielsweise nicht abzusehen, wie die Autonomiedebatte im ukrainischen Parlament ausgehen wird. Und Putin räumte ein, dass Poroschenko und er die Lage in dem hart umkämpften Bahnknotenpunkt Debalzewo unterschiedlich sähen.

Entsprechend vorsichtig äußerte sich Merkel. Konkrete Schritte müssten natürlich folgen und es gebe noch viele Hindernisse zu überwinden. Unterm Strich könne sie aber sagen, dass das Erreichte beträchtlich mehr Hoffnung gebe, als wenn gar nichts vereinbart worden wäre.

Zu den Erfolgen für die Ukraine gehört, dass die von den Rebellen im Herbst durchgeführten Wahlen in Donezk und Lugansk nach ukrainischem Recht wiederholt werden müssen. Für Russland ist das Junktim ein Sieg, dass die Ukraine die Kontrolle ihrer Ostgrenze nur unter der Bedingung einer Verfassungsreform Ende des Jahres zurück erlangt, die den Rebellenregionen mehr Autonomie gewährt.

Mehr als 5300 Opfer in der Ostukraine

In dem Bürgerkrieg in der Ostukraine sind seit April vergangenen Jahres nach UN-Angaben mehr als 5300 Menschen getötet worden, mehr als eine Million sind geflohen. Vorherige Waffenruhen waren größtenteils gescheitert. Der ukrainische Militärsprecher Andrej Lyssenko teilte am Donnerstag mit, trotz der Friedensverhandlungen in Minsk habe Russland in der Nacht 50 Panzer und andere schwere Waffen über die von den Rebellen kontrollierte Grenze in die Ukraine geschickt.

Poroschenko sagte, die Parteien hätten eingewilligt, der Ukraine dabei zu helfen, die Kontrolle über die Grenze zu Russland zurückzuerlangen. Teile davon werden aktuell von den prorussischen Separatisten kontrolliert. In den nächsten zwei Wochen sollten schwere Waffen von beiden Seiten um 50 bis 70 Kilometer zurückgezogen werden. Er habe keinen Forderungen nachgegeben, die inakzeptable Bedingungen für einen Rückzug und eine Kapitulation bedeutet hätten. Der verkündete Waffenstillstand habe keine Vorbedingungen.