Studien aus Kanada und Großbritannien erregen weltweit Aufsehen. Doch Vorurteile sind kein Alleinstellungsmerkmal von Konservativen

Mit dem Bericht „Rechte sind weniger intelligent als Linke, ergibt Studie“ brachte es die Onlineausgabe der britischen „Daily Mail“ kürzlich zur meistgeklickten Nachrichtenseite der Welt und übertraf damit sogar die „New York Times“. Die Zahl der Leserkommentare überstieg alles Dagewesene.

Eine Gruppe kanadischer Wissenschaftler der Brock University in Ontario hatte zwei britische Langzeitstudien ausgewertet. In der einen wurde die Intelligenz von rund 9000 Kindern im Alter von zehn bis elf Jahren ermittelt, in der zweiten wurden diese Kinder im Alter von 33 Jahren erneut befragt. Die Forscher fanden heraus, dass Menschen mit geringer Intelligenz zu rechtsgerichteten Ansichten tendieren, weil diese ihnen ein Gefühl von „Sicherheit“, „Ordnung“ und „Erhalt des Status quo“ vermittelten.

Bevor nun unter allen Pegida-Gegnern das große Triumphgeheul ausbricht, sollte man über die Ergebnisse etwas mehr erfahren. Die erwachsenen Teilnehmer der Studie sollten angeben, welchen Aussagen sie zustimmen, etwa „Es macht mir nichts aus, mit Ausländern zu arbeiten“ und „Mir macht es nichts aus, wenn nebenan Ausländer einziehen“, aber auch „Verbrecher sollten strenger bestraft werden“ oder „In der Schule sollten Kinder mehr Gehorsam gegenüber Autoritäten lernen“.

Die geäußerten Einstellungen wurden weder vom Bildungsstand noch vom sozialen Status bedingt, befanden die Forscher, sondern von der angeborenen Intelligenz, also kognitiven Fähigkeiten wie Lernen, Wahrnehmung, Problemlösen oder Vergleichen. Sie sind entscheidend für Unvoreingenommenheit und die Bildung einer differenzierten Meinung.

Schon viele Studien haben sich an einem Zusammenhang zwischen Intelligenz und politischen Einstellungen versucht. Überwiegend mit dem Ergebnis: Schlaue Kinder können eigenständiger denken und sind offener für neue soziale Entwicklungen, weshalb sie eher Linke oder Grüne oder Liberale werden. Starres Denken hingegen lässt die Welt unheimlich erscheinen und fördert die Hinwendung zu Parteien, die auf Ordnung und Tradition beharren. Mit der politischen Zuordnung sollte man allerdings vorsichtig sein. Bei US-Forschern gilt schon ein rechtsgerichteter Demokrat als „Left-winger“. Und wohin packen wir die rechten Flügel der Sozialdemokratie, etwa in der Flüchtlingsfrage? Gänzlich neu wäre mir auch, dass es in Deutschlands linker Bewegung keine Vorurteile gäbe.

Viele Linke finden das Bedürfnis nach „Sicherheit und Ordnung“ an sich schon befremdlich; beim Tod von Asylbewerbern (wie Khaled Bahray in Dresden) müssen prinzipiell die Rechten schuld sein, Unternehmer sind prinzipiell allein am Profit orientiert, und rechts von der Polizei ist nur die Wand ... Ja, im Fall des NSU-Terrors war die Polizei auf dem rechten Auge blind. Aber Khaled Bahray wurde nicht von Rechten getötet. Es ist schwer, sich von einmal gefassten Vorurteilen zu befreien, denn sie bilden ein Netz: Legt man das eine ab, werden womöglich auch andere löchrig, und das verunsichert.

Es gibt bei uns leider wenige Grenzgänger, von denen man lernen kann. Der frühere Hamburger Verfassungsschutzchef Christian Lochte (CDU) wetterte zum Beispiel gegen Vermummungsverbot, fälschungssichere Personalausweise und die Datensammelwut der Polizei und machte sich bei vielen Parteigenossen reichlich unbeliebt. Auch der „kursbuch“-Gründer Hans Magnus Enzensberger, ehemaliges Idol der Studentenbewegung, verließ die Elefantentrampelpfade der Linken und provozierte sie häufig mit eigenen Positionen. Manche Menschen arbeiteten für Geheimdienste oder Militär und waren knochenkonservativ, bis sie als Whistleblower Skandale aufdeckten. Sind die jetzt plötzlich alle links?

Mit einem weit offenen Blick können wir uns trauen, uns anders zu verhalten als die Mehrheit, aus Traditionen auszubrechen, die Perspektive anderer einzunehmen oder Autoritäten zu widersprechen. Aber rechts, links – das sind keine verlässlichen Kategorien für Intelligenz.

Der Marburger Intelligenzforscher Detlev Rost hat es gut auf den Punkt gebracht: „Um progressiv zu sein, brauchen Menschen kognitive Leistungsfähigkeit. Wer immer nur im Bekannten bleibt, muss nicht viel überlegen.“

Irene Jung schreibt jeden Mittwoch über Aufregendes und Abgründiges im Alltag