Stilblüten aus Schüleraufsätzen belegen: Die meisten Jugendlichen werden in Prüfungen unheimlich kreativ

Kindermund tut Wahrheit kund, lautet ein altes Sprichwort. Viele Erwachsene sind derart begeistert von den Aussprüchen ihrer Sprösslinge, dass sie sie sammeln und im Internet veröffentlichen. Zwar hege ich meine Zweifel, ob wirklich alles, was da unter „Schülerweisheiten“ oder „Kindermund“ firmiert, tatsächlich von Kindern stammt; manche Zeitgenossen, die juristisch die Volljährigkeit erreicht haben, bleiben ja geistig der lebende Pennälerwitz. Aber es gibt auch ein paar authentische Quellen.

Der „SchulSPIEGEL“ etwa hat lustige Prüfungsantworten zusammengestellt, inspiriert von der französischen Sammlung „Perles de bac“: Bei den Abschlussexamen „Baccalauréat“ (kurz Bac) brüten die Gymnasiasten landesweit eine Woche lang über Fragebogen. Und wringen sich beim Thema Geschichte beispielsweise Folgendes aus den Gehirnen: „China hat 1949 begonnen. Vorher hat das Land nicht viel gemacht.“ Das ist eine ziemlich kühne Behauptung, wenn wir an die Ming-Vasen oder die berühmten Kunstwerke der Tang-Dynastie denken. Manche Schüler unseres Nachbarlandes tun das, was Lehrpläne im Grunde wollen – sie denken kreativ: „Der europäische Aufbau hat verschiedene Stadien durchlaufen: EWG, EU, Uefa.“ Andere haben das Wort Literatur-Interpretation irgendwie missverstanden: „In dem Gedicht zeigt der Dialog zwischen dem Grashalm und dem Grab, dass wir nicht in demselben Universum leben.“

Deutsche Schüler/innen sind nicht weniger kreativ. Was soll man auch sagen, wenn man a) vom Thema keine Ahnung hat und/oder b) die Frage nicht versteht, aber c) keine Leerstelle abgeben will? Am besten, man stellt sich den Sachverhalt ganz plastisch vor, wie dieser Siebtklässler bei der Frage „Welche Stände gab es im Mittelalter?“ Seine Antwort: „Brotstände, Blumenstände, Gemüsestände.“ Großes Einfühlungsvermögen zeigte eine Achtklässlerin mit den Menschen des Mittelalters: „Das Leben auf einer Burg war hart. Sie konnten schlecht schlafen, weil sie immer durch die Schreie der Gefangenen aus dem Kerker geweckt wurden.“

In der Oberstufe wissen Schüler, dass ihre Antworten ein Mindestmaß an Plausibilität zeigen sollten. Neuntklässler sind da noch wesentlich risikofreudiger. Beispiel Reformation: „1517 schlug Luther 95 Thesen an die Kirchentür von Wittenberg“, schrieb ein 14-Jähriger, „er spaltete damit versehentlich die Kirche.“ Man sieht es gewissermaßen vor sich, wie das Gewicht der 95 Thesen nicht nur an der Tür, sondern gleich an den Grundfesten des Abendlandes zerrte. Auch der Nationalsozialismus lässt für Schüler viele Fragen offen, schon rein phonetisch: „Die Menschen begrüßten sich mit ,Hi Hitler‘“ (Klassenarbeit Geschichte, 9. Klasse). Manchmal gerät einfach alles durcheinander: „Als Deutschland im Ersten Weltkrieg gegen Russland kämpfte, ließ Hitler 1947 Sarajewo töten“, vermutete ein Kind in der 9. Klasse. Wer zum Teufel war Sarajewo? Hitlers Hund? Der hieß aber Blondie.

Etwas ungünstig ist es, wenn man im Fach Geografie/Gesellschaftskunde in einen ganz falschen Kanal gerät. Etwa bei der brandaktuellen Frage, warum Millionen Menschen aus Afrika in die nördliche Erdhälfte flüchten. Das sei „verheerend“, lautete eine Prüfungsantwort. „Dadurch entsteht auf der Erde ein Ungleichgewicht, und sie gerät aus ihrer Umlaufbahn, mit katastrophalen Folgen.“

Ich erinnere mich, dass ich bei unseren Schulvorstößen ins alte Ägypten immer „Sarkophag“ mit „Skarabäus“ verwechselte und in einer Klassenarbeit behauptete, Tutanchamun sei wie seine Vorgänger in einem überdimensionalen Käfer bestattet worden. Mein Patenkind machte sich in einem Aufsatz Gedanken über Rom und stellte eine steile These auf: Cäsar sei von Brutus getötet worden, weil ihm jemand nicht rechtzeitig Bescheid gesagt hatte (das fand ich sehr einleuchtend). Eine meiner Freundinnen hatte im Chemieunterricht gefehlt und fügte der Liste der chemischen Elemente zwischen Barium und Beryllium versehentlich das Baltikum hinzu.

Schade, dass solche Perlen sich nicht positiv im Zeugnis auswirken. Allein schon wegen ihres Unterhaltungswerts.