Jetzt mal Gans ehrlich: Billiggeflügel aus der Tiefkühlung? Wenigstens beim Weihnachtsbraten sollten wir darauf achten, dass die Tiere anständig aufgezogen wurden

Die Weihnachtsgans ist für viele Familien immer noch etwas ganz Besonderes. Über Generationen werden Rezepte wie „Omas Füllung aus Thymian und Esskastanien“ weitergegeben; und über die Beilagen-Frage gab es bei uns früher jedes Mal Debatten: Mutter war für Kartoffeln, Vater bestand auf rheinischen Klößen. Die meisten Verbraucher möchten sich vorstellen, dass ihre Gans vorher ein schönes Leben im Grünen geführt hat, mit fröhlichem Geschnatter und Grasrupfen und einem gemütlichen Bauern, der sie abends in den Stall holte.

Für Gänse, die ein gänsewürdiges Leben führten, muss man allerdings auch zahlen wollen. Wenn Sie eine artgerecht aufgezogene, sorgfältig ernährte Weihnachtsgans haben wollen, sollten Sie auf eine Bio-Gans mit Bezeichnungen wie „Freilandhaltung“, „bäuerliche Freilandhaltung“ oder „unbegrenzter Auslauf in bäuerlicher Freilandhaltung“ achten. Das sind gesetzlich definierte Haltungsformen, die jeder Gans gute Futtermittel, vier bis zehn Quadratmeter oder sogar mehr Auslauf garantieren. In direkter Vermarktung kostet sie dann pro Kilo 18 bis 20 Euro. Etwas günstiger sind Gänse von regionalen Bauern, die zwar nicht „bio“ sind, sich aber auch an das Verbot der Stopfmast halten müssen. Die Preise liegen bei zehn bis 15 Euro pro Kilo. Da ist alles drin: die Kosten für Wiese und Stall, Futter und Arbeitsstunden und ein relativ kleiner Gewinn, denn viel verdient der Bauer nicht an der Gans.

Das Problem ist nur, dass die Gänse-Nachfrage von den deutschen Erzeugern nicht bedient werden kann: Rund 80 Prozent der Weihnachtsgänse müssen aus dem Ausland kommen, vor allem Polen und Ungarn. Die liegen dann für Kilopreise von fünf Euro in der Tiefkühlbox im Supermarkt, also rund 30 Euro für eine Sechs-Kilo-Gans. Solche Preise sind nur möglich, wenn die Gans schnell gemästet wird und außer dem Fleisch noch andere Produkte liefert, zum Beispiel fette Pastetenlebern oder Daunen. In Ungarn ist die Stopfmast wie in Frankreich und Bulgarien erlaubt: Der Gans wird mehrmals täglich durch ein Rohr Futterbrei direkt in den Magen geschoben, eine qualvolle Prozedur, die eine Fettleber erzeugt. Polen hat die Stopfmast verboten, nicht aber das Lebendrupfen: Dabei werden den Gänsen immer wieder die begehrten, nachwachsenden Daunen gerupft. Das ist so, als würde man sich die Haare ausreißen. Ich persönlich möchte keine Gans essen, die zwangsernährt oder zwangsgerupft wurde. Dennoch wandern solche Gänse mit Etiketten wie „tiergerechte Haltung“ oder „bäuerliche Aufzucht“ ins Tiefkühlregal. Die sollen so beruhigend klingen wie „Alpenmilch“, sind aber nicht geschützt und besagen nichts über das Martyrium, das die Gänse erleiden mussten, nur damit sie bei uns zum Schnäppchenpreis angeboten werden können.

Jetzt sehe ich einige schon die Augen verdrehen: Muss die uns jetzt ausgerechnet vor Weihnachten mit dem Tierschutz kommen? Ja, ich komme damit, weil Weihnachten traditionsgemäß mit besonders gutem Essen zu tun hat und somit ein Anlass ist, sich über ein paar unliebsame Wahrheiten klar zu werden. Um all unsere billigen Hähnchen, Putenschnitzel, Suppenhühner und Schweinekoteletts zu produzieren, müssen Mastbetriebe an Kosten für die Lebensqualität von Tieren sparen. Sie müssen sie beengter halten, mit Billigfutter und Medikamenten gegen Massenkrankheiten abspeisen. Seit Jahren treiben Fleischskandale uns Verbraucher vor sich her, aber die Skandale sind nur die Spitze des Eisbergs in einer Massenproduktion, von der wir lieber nichts sehen und hören. Stattdessen beglücken wir unsere Kinder zu Weihnachten mit lustigen Spiel- und Bilderbuch-Bauernhöfen, in denen vermeintlich glückliche Tiere schnattern und muhen.

Dabei haben wir es doch in der Hand. Wir können uns genau über Herkunft und Haltung unserer Weihnachtsgans informieren. Sie sollte etwas ganz Besonderes bleiben. Pro Jahr geben die Deutschen übrigens allein 200 Millionen Euro (!) für alberne Halloween-Kürbisse und -kostüme aus. Da sollte ein anständiger Preis für anständig aufgezogene Weihnachtsgänse doch wohl kein Thema sein.

Irene Jung schreibt jeden Mittwoch über Aufregendes und Abgründiges im Alltag