Ein E-Mail-Wechsel von Abendblatt und „Cicero“

Christoph Schwennicke (r.), Chefredakteur des Magazins „Cicero“, und Lars Haider, Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, pflegen eine E-Mail-Freundschaft, die wir jeden Sonnabend veröffentlichen.

Lars Haider: Lieber Christoph, was war denn mit der Kanzlerin auf dem CDU-Parteitag los? Hat die Angst vor Rot-Rot-Grün, oder warum macht sie jetzt schon Bundestagswahlkampf?

Christoph Schwennicke: Sie hat für einen Tag in Wahlkampfmodus geschaltet, hat ihren Partner SPD gedisst, die Grünen umschmeichelt. Jetzt gibt es das Projekt Schwarz-Grün 2017 mit Kanzlerin Merkel. Sie tritt wieder an. Das ist klar.

Haider: Will sie am Ende doch Helmut Kohl überholen?

Schwennicke: Nach Rot-Rot-Grün in Thüringen ist ihr klar, dass ihr die Optionen ausgehen. Die FDP wird kaum wiederauferstehen, die AfD ist ein No-Go, also ran an die Grünen. Angst, das ist nicht so das erste Wort, das mir bei Merkel einfällt. Und Kohl hat sie auf eine Art schon überholt. Dessen 16 Jahre zerfallen in zweimal acht. Ohne Wiedervereinigung hätte er nicht noch mal Verlängerung bis 1998 bekommen, sondern wäre nach acht Jahren weg gewesen. Und sie geht jetzt ohne ein Ereignis wie die Wiedervereinigung ins zehnte Kanzlerjahr.

Haider: Du bist ja ein Fan der Kanzlerin! Ich bin mir nicht so sicher, ob es gut ist, wenn wer auch immer so lange an der Macht bleibt. Man verliert den Bezug zur Wirklichkeit, Angela Merkel irgendwann auch. Hast Du nicht festgestellt, dass sie sich in den vergangenen Jahren verändert hat?

Schwennicke: Natürlich ist das nicht gut. Demokratie gewährleistet gemeinhin Wechsel. Weil die Leute irgendwann genug haben. Der Person überdrüssig sind. Merkel schafft es, dies hinauszuzögern. Ja, sie hat sich verändert. Aber sie ist nicht versteinerter, sondern eher lockerer geworden. Sie gibt auch mehr preis von sich, wie im Sommer, als sie in unserem „Cicero“-Foyergepräch im Berliner Ensemble zu Gast war. Diese Gelassenheit kommt aus dem Gefühl: Zwei Legislaturen will man haben als Kanzler, keine Eintagsfliege bleiben, der Hattrick ist schon ein Ding, eine vierte Legislatur wäre eine Art zweite Nachspielzeit. Da ist leicht locker sein.

Haider: Meinst Du, Merkel kann die Grünen drehen?

Schwennicke: Die werden sich auf jeden Fall beide Optionen offenhalten. Die Grünen sind jetzt die umworbene Braut. Mal sehen, wer besser Minne singt: Merkel oder Gabriel.