Eine britische Studie offenbart „bestürzende“ Uneinigkeit der Experten. Das Ziel: „Mutti, Mutti, er hat überhaupt nicht gebohrt“.

Wie wichtig Zähneputzen ist, haben Millionen Deutsche schon als Kinder gelernt. Die Älteren erinnern sich wahrscheinlich noch an die Fernseh-Werbung für „Colgate fluor S“: „Mutti, Mutti, er hat überhaupt nicht gebohrt“, verkündete ein Knirps mit strahlend weißen Zähnchen (auf der Filmrolle vermutlich in stundenlanger Kleinarbeit von einer Praktikantin nachkoloriert). Den Beginn des Ersten Golfkriegs, die Einführung des Euro und andere weltbewegende Daten entfallen dem Gedächtnis, aber „überhaupt nicht gebohrt“ behält man.

Nichtsdestotrotz empfahl mir mein Zahnarzt vor Jahren einen Zahnpflegekursus. Dabei haben wir Zähneputzen noch mal „ganz neu gedacht“ (wie in der Politik!). Die diplomierte Zahnpflegerin zeigte uns Probanden, wie wir in kurzen Strichen immer schön vertikal vom Zahnfleisch zum Zahn bürsten sollen. Denn sonst würde man ja die Plaque in die sogenannten Zahntaschen schieben, wo sie dann vor sich hin schimmelt, bis der Zahn buchstäblich knirschend aufgibt. Das horizontale Bürsten hingegen bringe nichts, sagte sie, dabei bleibt die Plaque zwischen den Zähnen hängen „wie beim Kehren von Kopfsteinpflaster“. Die Frau hatte ein Riesentalent für Metaphern. Aber ich fand ihren Rat logisch: Man bürstet sich ja auch die Haare und tuscht sich die Wimpern von der Wurzel nach außen, anstatt sie mit horizontalem Kehren zu verwuscheln.

Aber jetzt könnte eine britische Studie alte Gewissheiten wieder erschüttern: Zahn-Experten sind sich völlig uneinig darüber, wie man richtig Zähne putzt. Für die Studie verglichen die Forscher des Instituts für öffentliche Zahngesundheit die Empfehlungen von Zahnärztekammern, Zahnpasta-Herstellern und Zahnpflege-Ratgebern in zehn europäischen Ländern. Ergebnis: Die Anweisungen zu Methode und Häufigkeit des Zähneputzens sowie zur Lebensdauer von manuellen und elektrischen Zahnbürsten gehen weit auseinander. Mit anderen Worten: In der Zahnpflegeszene besteht kein klarer Konsens, sondern ein „bestürzender Mangel an Übereinstimmung“ über die Basics der Mundhygiene.

Am häufigsten wird laut der Studie empfohlen, die Zahnbürste in kurzen Rüttelbewegungen hin und her zu bewegen. Aber keine größere Untersuchung belegt, dass diese Methode besser sei als das normale kreisförmige Schrubben. Der Leiter der Studie gibt schließlich selbst eine Empfehlung: „Bürsten Sie sanft mit einfachen horizontalen Bewegungen, die Bürste in einem 45-Grad-Winkel (zur Zahnoberfläche), um die Plaque zu erreichen. Um zu hartes Bürsten zu vermeiden, halten Sie die Zahnbürste wie einen Kugelschreiber statt in der Faust.“ Klar, Zähneputzen ist kein Faustkampf gegen Karies. Manche Zeitgenossen bürsten so hart, dass sie in Zahnfleisch und Zahnschmelz Furchen graben wie Eiszeit-Gletscher. Aber horizontales Bürsten? Da wären wir ja wieder beim Kopfsteinpflaster.

In England ist die Misere hausgemacht. Das erhellt vielleicht eine zweite Studie, die 2013 von der britischen Stiftung für Zahngesundheit veröffentlicht wurde: Sieben Millionen Briten putzen ihre Zähne überhaupt nicht regelmäßig. Jeder siebte (14,2 Prozent) greift nur alle zwei Tage zur Zahnbürste, und 21 Prozent vergessen nachzuspülen. Man möchte das gar nicht genauer wissen. England hatte also guten Grund, die Zahnhygiene-Erziehung genauer unter die Lupe zu nehmen (die Schotten spülen wahrscheinlich mit Single Malt nach).

Aber bürsten wir doch mal vor der eigenen Haustür. 2012 ergab eine Studie der Uni Witten-Herdecke mit dem Versicherer Axa, dass auch 32 Prozent der deutschen Zähne beklagenswert falsch geputzt werden – nämlich mit der Kreiselbewegung. Die kann das Zahnfleisch verletzen und den Zahnbelag unter den Zahnfleischrand schieben, wo er dann kompostiert. Empfehlung: fegen und rütteln. Aber in welche Richtung? Ist das auch wieder kontrovers?

Oder man versetzt sich psychologisch in den Zahnbelag (Wo würde man sich am besten verstecken?) – und bürstet dann dort. Sonst passiert, was Wilhelm Busch über Zahnweh schrieb: „Mitunter sitzt die ganze Seele / in eines Zahnes dunkler Höhle.“