Firma und Musical-Betreiber locken vor Bürgerentscheid mit Zehn-Millionen-Euro-Spende. Ist das wirklich „alte hanseatische Tradition“?

Ist das nicht ein tolles Angebot? Seilbahnbauer Doppelmayr und die Stage bieten dem Bezirk Mitte eine Spende von zehn Millionen Euro für gemeinnützige Zwecke an, falls sich die Bürger/innen in Mitte im August per Bürgerentscheid für die Seilbahn aussprechen. Allerdings kommen die Spendengelder erst mit Betrieb der Seilbahn herein – je 50 Cent pro Fahrt sollen für den guten Zweck abgezweigt werden.

St. Pauli mit der Seilbahn auch etwas zu bescheren, das nicht nur ihren Nutznießern zugutekommt, das wäre tatsächlich eine gute, fast geniale Idee – wenn die Seilbahnbauer sie gleich zu Beginn unterbreitet hätten. Und nicht jetzt, mitten in einer laufenden Bürgerbefragung. An Reaktionen habe ich vielfach gehört: Ach, sieh an, die kaufen sich jetzt ein. Oder etwas milder ausgedrückt: Die wollen wohl ein bisschen nachhelfen, damit es mit dem Volksentscheid klappt.

Seit 1997 wurden in Hamburg 39 Volksinitiativen durchgeführt, 15 Volksbegehren und sieben Volksentscheide, haben Innenbehörde und Landeswahlamt aufgelistet. Erfolgreich waren zum Beispiel Volksinitiative, -begehren und -entscheid „Unser Hamburg – unser Netz“, die erreichten, dass Hamburg Stromnetze und Fernwärmeversorgung wieder von Vattenfall und E.on zurückgekauft und zu 100 Prozent in öffentliche Hand geholt hat. Mal angenommen, Vattenfall hätte während des Volksentscheids mit einem Zehn-Millionen-Scheck gewinkt, etwa für die Unterhaltung des Stadtparks, wenn die Netze privatisiert bleiben. Wie wäre das in der Öffentlichkeit angekommen?

Meist spielen Unternehmen im Hintergrund von Volksbefragungen gar keine Rolle. Und oft kommen Volksinitiativen auch nicht zustande, wenn die Initiatoren keine Unterschriftenlisten abgegeben haben – weil sie die erforderliche Zahl von Unterschriften nicht erreichten. So war es etwa bei der Initiative für „echten Nichtraucherschutz“, die 2010 eine komplett rauchfreie Gastronomie forderte und von der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) unterstützt wurde. Man hat nichts davon gehört, dass BAT oder Reemtsma die Initiative mit einer Spende ausgebremst hätten.

Auch das Volksabstimmungsverfahren „Gegen die Bevormundung im HVV – Für das Feierabendbier“ (in Bus und U-/S-Bahn) kam nicht zustande. Weil der Support von Holsten und Astra fehlte?

Einen großen Schritt weiter hingegen ist die Aktion G9-Jetzt-HH, die das Abitur nach neun (statt acht) Jahren wieder einführen will: Nach erfolgreich zustande gekommener Volksinitiative startet am 18. September das G9-Volksbegehren.

Die Initiative vermeldet auf ihrer Website, dass Hamburgs Bankenchef Marcus Vitt und Niedersachsens Arbeitgeberverbände das Abi nach acht Jahren ablehnen. Gestritten wird öffentlich, mit Meinungsbeiträgen, bei Podiumsdiskussionen, ohne Geld. So ist es eigentlich gedacht: Das Volk soll sich seine Meinung bilden, wie im Wahlkampf.

Das Hamburgische Volksabstimmungsgesetz (Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid) von 1996 ist noch relativ jung. Es regelt das Prozedere aus Behördensicht, an dazwischenplatzende Firmenspenden hat keiner gedacht. Dass die Antragsteller für ihr Anliegen werben – mit Broschüren, Wochenmarktständen, im Internet –, ist okay. Aber welchen Spielraum sollen Unternehmen haben, die vom Anliegen direkt profitieren? Wo hört die Werbung auf, und wo fängt die Beeinflussung an?

Anscheinend da, wo der Gegner nicht mehr mithalten kann. Das bunt zusammengewürfelte Lager der Seilbahngegner, das sich mit Aufklebern und Online-Petitionen gegen den Bau des Musical-Zubringers wehrt, kann weder zwei noch fünf noch zehn Millionen Euro ins Spiel bringen.

Die Ex-Senatorin und Seilbahn-Mitinitiatorin Herlind Gundelach, CDU, hat kein Problem mit der Millionen-Spende: Es sei „alte hanseatische Tradition“, dass sich erfolgreiche Hamburger Unternehmen auch für das Gemeinwohl engagierten. Hätte der Münchner Seilbahnbauer Doppelmayr sich auch ohne Seilbahn-Befragung für die Reeperbahn (Seile!) engagiert? Wer’s glaubt, kriegt eine Freifahrt.