In alten TV-Filmen leben noch die Freunde und Helfer in Uniform. In der Realität von heute sind Polizisten die Ausputzer der Politik

Alte Hamburger Wochenschaufilme sind wie ein Besuch in einer anderen Welt. Im Jahr 1960 zum Beispiel begrüßte die Fernsehansagerin Irene Koss die Kinder beim Nachmittagsprogramm noch mit „Guten Tag, ihr lieben Mädel und Jungen“. Durch die Stadtteile zogen Leierkastenmänner und -frauen, denen man ein paar Pfennige (!) aus dem Fenster herunterwarf. Und Streifenpolizisten knatterten als „weiße Mäuse“ auf Motorrädern durch die Straßen. Genauso nostalgisch sind die Fernsehserien „Polizeifunk ruft“, „Hafenpolizei“ und „Hamburg Transit“ aus den Sechzigern und Siebzigern, sämtlich in Hamburg gedreht.

Die laufen täglich auf einem winzig kleinen TV-Sender namens Anixe mit Sitz in Mannheim, der offenbar ein Faible für Hamburger Lokalkolorit hat. Am Anfang jeder Folge werden rennende Polizisten sowie Hafenansichten gezeigt, eine Stimme aus dem Off ruft: „Schiffe – Hafen – Menschen – Energie“ oder auch: „Großstadt – Technik – Menschen – Gefahr“. Dazu ertönt, was damals modern war und was Piet Klocke mal „so ein affenartiges Star-Wars-Bigband-Getöse“ genannt hat: eine heftig angejazzte Erkennungsmelodie, damit auch jeder mitkriegt, dass es jetzt ganz, ganz aufregend wird.

Im Gegensatz zu den postmodernen Großraumbüros und cleanen Industrielofts, in denen heutige TV-Kommissar/innen in Jeans und Lederjacken herumlaufen, sitzen ihre frühen Vorläufer zwischen Aktenordnern an alten Rollladenschreibtischen, teilen sich klobige Triumph-Schreibmaschinen und ein einziges Abteilungstelefon mit Wahlscheibe und rauchen wie die Schlote. Frauen kommen ab und zu herein und bringen Kaffee. Ich könnte mich jedes Mal totlachen, welche unsäglichen Altherren-Komplimente damals über den Sender gingen (Kommissar Peters, mit Blick auf den Hintern der Sekretärin: „Das ist ja Eins a!“).

Die Serien zeigen noch ein sehr anderes Hamburg: Unübersehbar ziehen sich geräumte Trümmerschneisen durch die Stadt, über Kopfsteinpflaster rattert die Straßenbahn. Die verwinkelten Gassen des alten Arbeiterquartiers am Pinnasberg konnte Regisseur John Olden (Ehemann von Inge Meysel) wunderbar für Verfolgungsjagden auf Diebe, Hehler, Betrüger und Schmuggler nutzen. Nur selten ging es um Mord – und nie um Demonstrationen.

„Eine erfahrene Polizei wacht über die Sicherheit der Stadt und ihrer Menschen“, heißt es in jedem Vorspann. Das war auch das Ziel dieser Serien: Sie zeichneten ein polizeiliches Sittengemälde, das den „Freund und Helfer“ populär machen sollte und auf Autorität baute – bei „Halt! Polizei! Hände hoch!“ bleiben die Verfolgten ja tatsächlich noch brav stehen. Das war 20 Jahre vor Gerhard Seyfrieds Anarcho-Comic mit dem Versprecher „Pop! Stolizei!“, als die Studentenbewegung den Glauben an das Gute im Gewaltmonopol schon aufgeweicht hatte. Eine so blauäugige Sicht auf Ordnungshüter wie in den frühen Polizeiserien versucht das Fernsehen gar nicht mehr: Heute besteht unsere Film-Polizei aus engagierten Ermittlerteams, die nebenbei in ihren privaten Konfliktkonstellationen fast ersaufen, oder aus hochgerüsteten Forensikern, die Tätern mit Mikroskopen, DNA-Analysen und Überwachungstechnik auf die Pelle rücken.

Das eine von damals ist so verzerrend wie das andere heute. Denn Polizeiarbeit steht wie kaum ein anderer Beruf im Fadenkreuz der Debatten – wie die Reaktionen auf die gewaltsame Auflösung einer Sitzblockade von Lampedusa-Flüchtlingen auf dem Rathausmarkt am Donnerstag zeigen. Mein Eindruck ist: Je schwieriger und aufgeheizter ein gesellschaftliches Konfliktfeld ist, desto lieber überlässt es die Hamburger Politik der Polizei, darauf zu reagieren und „für Ordnung“ zu sorgen. Die „innere Sicherheit“ lässt sich damit vielleicht herstellen; nur ist damit noch nicht der Konflikt gelöst und die Polizei nicht das Organ, diese Lösung herbeizuführen. Das wäre Aufgabe des Senats, der Bürgerschaft, der Parteien und politischen Initiativen. Es ist falsch, Hamburgs Polizei dieser Zerreißprobe auszusetzen. Die politische Kultur einer Stadt zeigt sich auch darin, wie sie ihre Polizei einsetzt. Das wäre eigentlich ein tolles Serienthema.

Irene Jung schreibt jeden Mittwoch über Aufregendes und Abgründiges im Alltag