Ingeborg Knipper, langjährige Bildungsexpertin der CDU, warnt davor, Hamburgs Schulstruktur zu verändern, nur weil es Umsetzungsprobleme gibt

Die Bemühungen um einen Kompromiss in der G8/G9-Debatte in Hamburg sind sicher zu begrüßen, wenn es darum geht, Chaos und Unsinn zu verhindern. Leider kommen dabei die bildungspolitischen Argumente und die spezifische Hamburger Situation zu kurz.

Was spricht aus bildungspolitischer Sicht für acht Jahre Gymnasium (G8)?

Natürlich kann man sich Inhalte und Arbeitsformen für eine längere Schulzeit vorstellen. In einer Generation jedoch, in der das Bekenntnis zum lebenslangen Lernen unstrittig ist, muss die Frage doch lauten: Kann man im Gymnasium, in einer Schulform für gut begabte Kinder in acht Jahren die grundlegenden Inhalte vermitteln, die für den weiteren Bildungsweg an Hochschulen oder auf anderen anspruchsvollen Ausbildungswegen erforderlich sind? Das geht durchaus, es ist im Inund Ausland bereits erwiesen. Sogar ohne Qualitätsverlust und ohne Verzicht der jungen Menschen auf Hobbys oder auch auf deren Freizeit und Muße.

Die Entwicklungen in der Berufsund Arbeitswelt, durch die Globalisierung und durch Veränderungen in der Demografie verstärken die Notwendigkeit eines lebenslangen Lernens. Sie zeigen, dass es kein Zurück zu einem Gymnasium, wie es die meisten Eltern erlebt haben, geben kann, und zwar unabhängig von der Dauer der Schulzeit.

Ja, auch das G8 muss weiterentwickelt werden: Konkretes Basiswissen, Bildung, Allgemeinbildung, Lernstrategien – was bedeutet das heute in unserem Internetzeitalter? Hier sind Schulen, Eltern und Schüler, Politik und Wissenschaft gefordert. Viele arbeiten bereits daran. Und noch nie waren die Möglichkeiten, außerhalb von Schule zu lernen, so vielfältig und umfangreich wie heute. Jedes Jahr, das Jugendliche außerhalb von der Schule leben und lernen, ist ein Gewinn für ihre Entwicklung und Reifung.

Was ist das Besondere für eine Entscheidung in Hamburg?

Hamburg hat seit 2008 ein zweigliedriges Schulsystem, in dem neben dem Gymnasium, das seit 2002 das Abitur nach acht Jahren möglich macht, die Stadtteilschule steht. In ihr werden die früheren Gesamtschulen und Hauptund Realschulen zusammengefasst. Sie führen nach neun Jahren zum ersten, nach zehn Jahren zum mittleren Abschluss und nach insgesamt 13 Jahren zum Abitur.

Es gibt also inzwischen neben G8 in jedem Stadtteil ein Schulangebot, in dem Kinder, die mehr Zeit für ihre Lernentwicklung brauchen, ein gleichwertiges Abitur neun Jahre nach der Grundschule erreichen können. Richtig ist, dass die Stadtteilschule noch nicht alle Probleme, die bei einer neuen Schulform auftreten, gelöst hat. Zudem sind viele Stadtteilschulen durch die Aufgaben der Inklusion ohne ausreichende personelle Ausstattung überfordert. Man darf jedoch nicht den Fehler machen, Umsetzungsprobleme als Strukturprobleme zu deuten. Jetzt muss alles getan werden, um Stadtteilschulen für ihre umfassenden Aufgaben auszustatten.

Eine Entscheidung für G9 würde aber für mindestens zehn Jahre das Gymnasium zu einer gewaltigen zusätzlichen Baustelle machen, Hamburgs Schüler gegenüber vielen anderen Bundesländern benachteiligen, ungeheure zusätzliche Kosten verursachen, die wahrscheinlich innerhalb des Schulhaushalts erwirtschaftet werden müssten, an vielen Stadtteilschulen die Abitur-Option einschränken, das Niveau der Gymnasien durch zu viele ungeeignete Schüler gefährden und letztlich zu einer Schule für alle, zur Einheitsschule führen.

Die Schulkonferenzen der Hamburger Gymnasien sollten sich möglichst bald für die Beibehaltung von G8 und gegen diese unsinnige Strukturdiskussion entscheiden. Hamburgs Schulen brauchen Ruhe für ihre innere Weiterentwicklung.

Schulfrieden ist eine ständige Aufgabe für alle, kein Stillstand.