Die größte Insel der Kanaren ist ein Reise- Klassiker der Deutschen. Doch die meisten liegen nur am Strand im Süden und verpassen wirklich interessante Orte wie Garachico und Masca

Wir stehen auf historischem Boden. Am bekanntesten Aussichtspunkt Teneriffas. Vom Mirador de Humboldt schweift unser Blick weit hinunter ins immergrüne Orotavatal, hinüber zur Küste von Puerta de la Cruz und hinauf zum Pico del Teide, mit 3718 Metern der höchste Berg Spaniens. Anno 1799 soll hier der deutsche Naturforscher Alexander Freiherr von Humboldt auf die Knie gefallen sein und voller Begeisterung gerufen haben: „Ich habe nirgendwo ein Bild gesehen, das mich so tief berührt hat.“ Eine lebensgroße Skulptur, die leger auf der Terrassenmauer sitzt, erinnert an den berühmten Deutschen.

Spätestens hier wird die immer wieder gestellte Frage beantwortet: Wo ist es eigentlich am schönsten auf Teneriffa? Im Süden, wo fast das ganze Jahr die Sonne scheint? Oder im Norden, wo es grünt und blüht und schon mal ein paar dunkle Regenwolken das Urlaubsvergnügen trüben können?

„Teneriffas attraktivste Seite ist unbestritten der Nordwesten“, sagt Gaby Schillgalies. Nelly, wie sie von allen genannt wird, kam 1972 von Bremerhaven auf die Kanareninsel, war Leiterin des Kindergartens in der Deutschen Schule und ist die Frau des ehemaligen Bürgermeisters von Garachico. „Es ist die schönste Stadt der Kanaren“, schwärmt sie. „Rappeln Sie sich von Ihrer Sonnenliege am Hotel-Pool auf und genießen Sie für einen Tag die Schokoladenseite Teneriffas“, hatte sie uns ermuntert.

Und nun stehen wir hier. Humboldt und Teneriffa im Blick. Mit dem Teide im Hintergrund. Ein Vulkan, in dem es immer noch brodelt. 1798 war er zuletzt ausgebrochen. Der Gipfel, im Winter schneebedeckt, ragt aus einem Urkrater, einer bizarren Vulkanlandschaft, steil in den Himmel. Wir sind mit dem Jeep unterwegs. Manuel Padilla Cubas, unser Reiseführer, steuert den Range Rover über die Straßen des Teno-Gebirges. Unser erstes Ziel: die Stadt mit dem klangvollen Namen Puerto de la Cruz, das touristische Zentrum der Küste im Nordwesten der Insel.

Hier hat alles begonnen. Bereits vor mehr als 100 Jahren wurden die ersten Urlauber von Teneriffa beherbergt. Doch Puerto de la Cruz wird auch heute noch nicht vom Tourismus bestimmt. Der Alltag bleibt unberührt von den großen Hotels, den Restaurants und den Gästen aus aller Welt. „Das ganz normale kanarische Leben funktioniert harmonisch wie eh und je“, erzählt Carmen vom örtlichen Fremdenverkehrsamt. Gepflegt und gut erhalten sind die vielen Kolonialbauten im Stadtkern. Ihre Mauern sind bis zu 60 Zentimeter dick. Klimaanlagen und Heizungen werden nicht benötigt.

Die vielen alten, schönen Treppen und Fenster sowie die historischen Balkons, die dem Besucher auffallen, wurden noch aus dem harten Holz der kanarischen Kiefern gezimmert. Seit fast 50 Jahren dürfen die Bäume nicht mehr geschlagen werden. Sie stehen unter Naturschutz. Denn ihre bis zu 30 Zentimeter langen Nadeln sind die Lebensader der Insel. „Sie garantieren unsere Wasserversorgung“, erläutert Manuel. „Sie melken die Wolken, saugen das Wasser auf und führen es in den Boden ab.“ Das wertvolle Nass wird dann im Vulkangestein gesammelt und später wieder für den Gebrauch abgezapft.

Eine wichtige Einnahmequelle für die Insel ist die Banane

Entlang der Küste geht es weiter nach Westen. Vorbei an weitläufigen Bananenplantagen. Die Pflanzen wachsen an den steilen Gebirgshängen, die in riesige Terrassen unterteilt sind. Die Banane ist eine wichtige Einnahmequelle für die Inselbewohner. 90 Prozent der knapp 140 000 Tonnen, die jedes Jahr geerntet werden, finden ihren Absatz in Europa. Die kanarische Banane ist sehr klein, aber sie schmeckt ausgesprochen lecker. Ein Geheimtipp für die Urlauber: Sie sollten unbedingt den „Licor de Platano“, den Bananenlikör, und den Bananenkuchen in den Insel-Cafés probieren. Unsere kleine Reisegruppe war sich einig: Genuss pur.

Unser nächstes Ziel erreichen wir nach etwa einer Dreiviertelstunde: Icod de los Vinos. Hauptanziehungspunkt des alten Weinstädtchens ist ein 17 Meter hoher und sechs Meter breiter Drachenbaum. Er ist das Wahrzeichen von Teneriffa. Jeder Inselbewohner versucht, ihn mindestens einmal im Jahr zu besuchen.

„Wir erhoffen uns dadurch ein langes und glückliches Lebens“, sagt mir ein junger Mann, der sich mit seiner ganzen Familie und seinem soeben getauften Sohn zum Gruppenbild vor dem Drachenbaum aufgestellt hat. „Angeblich ist der Baum mehr als 1000 Jahre alt“, sagt er. „Leider kann sein Alter nur geschätzt werden. Der Drachenbaum hat keine Jahresringe, denn er ist ein Agavengewächs.“ Übrigens: Es lohnt sich, einen kleinen Spaziergang durch die malerische Altstadt zu machen, vorbei an alten Herrenhäusern und Kirchen mit ihren sehenswerten Renaissance-Portalen, auf direktem Wege hin zu einer der beiden Bodegas an der Plaza de la Constitucion, um hier den guten Inselwein zu genießen.

Die Fahrt nach Garachico ist kurz. Der Höhepunkt des Tages. Die Stadt ist ein Traum: das Meer, die Brandung, die mächtigen Felsen und Wellenbrecher, dazwischen die einzelnen Naturschwimmbecken und entlang der Küste die vielen kleinen Restaurants und Bars. Hier möchte man bleiben.

Vielleicht ist es der italienische Einfluss, der dem Ort den Charme verleiht. Denn Garachico ist vor mehr als 500 Jahren von italienischen Kaufleuten gegründet worden. Schnell entwickelte er sich zu einem blühenden Hafenstädtchen, wurde zum größten Handelsplatz zwischen den Kanaren, England, Holland und Amerika. Doch drei Katastrophen beendeten den Wohlstand. 1645 war das erste Schicksalsjahr. Eine Sturmflut tötete 80 Menschen und versenkte 40 Schiffe. 1697 wütete eine Feuersbrunst und zerstörte mehr als 100 Häuser. Und knapp zehn Jahre später dann das endgültige Aus für das Hafenstädtchen. Am 5. Mai 1706 brach der oberhalb des Ortes gelegene Vulkan Montana del Estrecho aus, die Lavaströme verschütteten den Hafen und zerstörten große Teile der Stadt. Nur die Kirche, das Kloster San Francisco und einige alte Gebäude des Ortes blieben verschont.

Garachico hat seinen Namen von einem Felsen

Garachico wurde wieder aufgebaut. Auf getrockneter Lavamasse präsentiert sich heute das neue Städtchen mit seinen knapp 5700 Einwohnern. Die weißen Häuser mit ihren roten Dächern am Fuße des steilen Teide-Massivs bieten einen grandiosen Anblick. In der Altstadt gibt es mehrere Kirchen, Museen, Restaurants und ein paar Hotels.

Seinen Namen hat Garachico von seinem Wahrzeichen, einem Felsen, der unmittelbar vor dem Ort im Wasser liegt. Er bedeutet „Kleine Insel“. Das Wort Garachico stammt aus der Zeit der Guanchen. Sie waren die Ureinwohner Teneriffas. Die ehemaligen Wüstenbewohner der Sahara kamen vor mehr als 3000 Jahren auf die Insel. Das Museo de la Naturaleza y del Hombre (Museum für Natur und Mensch) in der Hauptstadt Santa Cruz hat die Epoche der Ureinwohner dokumentiert

Über die Grenzen der Stadt hinaus hat ein kleines, feines Hotel von sich reden gemacht: Das San Roque ist (www.hotelsanroque.com) ein Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert. Der Franzose Dominique Carayon hat es zum Designer-Hotel umgebaut. Oberhalb des Hauses gibt es ein Kloster. Schmunzelnd erzählt Dominique, der gut Deutsch spricht: „Manchmal können die Gäste das Lachen der Nonnen hören. Dann baden sie im klostereigenen Swimmingpool.“ Und Gaby Schillgalies, die Frau des ehemaligen Bürgermeisters, berichtet: „Die Nonnen gehören zum Stadtbild. Sie sind freundlich und hilfsbereit. Früher habe ich sie in meinem Auto mitgenommen.“

Für uns geht es weiter. Zum legendären Bergdorf Masca, dessen Name so viel bedeutet wie das versteckte Dorf. Es liegt 700 Meter hoch in den Bergen des Teno-Gebirges und diente den Einwohnern Teneriffas einst als Versteck vor Piraten. Manuel bringt uns sicher über die spektakuläre Strecke. Das Dorf besteht aus verschiedenen Weilern mit wenigen Häusern, die sich auf mehrere Berghänge verteilen, und einer Handvoll Einwohnern. Früher kamen die besten Zwiebeln und Kartoffeln sowie der beste Knoblauch und Ziegenkäse aus Masca. Doch die Arbeit in der Landwirtschaft war für viele Einheimische keine Perspektive, die jungen Leute wanderten in die Touristenhochburgen ab.

Der Ort und die gleichnamige Masca-Schlucht sind heute das Ziel der Individualreisenden. Die Siedlung ist Ausgangspunkt für spannende Wanderungen. Der Weg führt durch einen Barranco, einen ausgetrockneten Flusslauf, hinunter zum Meer. Wir genießen vor unserer Weiterfahrt Richtung Süden noch das Panorama. „Früher“, lächelt Manuel, „dauerte der Rückweg einen halben Tag. Es gab keine Straße, kein Auto fuhr hier hinauf. Wer nach Masca wollte, musste das Maultier nehmen.“