Am 6. Juni 2003 ließ das Abendblatt mit der Überschrift „Elb-Philharmonie auf dem Kaispeicher?“ erstmals die Katze aus dem Sack. Mittlerweile sorgen Pleiten, Pech und Peinlichkeiten für Schlagzeilen.

Sollte die Elbphilharmonie je ein „Wie alles begann“-Erinnerungseckchen einrichten, um ihre Geburtswege zu dokumentieren, müsste es dort auch einen Ehrenplatz für eine ganz besondere „Lufthansa Magazin“-Ausgabe geben. Einen Fehldruck, so kurios wie die Blaue Mauritius. Er zeigte im April 2003 eine strahlend geschönte Computergrafik als HafenCity-Vision auf seinem Titel. Den „Media City Port“, ein nichtsnutziges, seelenlos dahin designtes Büroklotz-Ungetüm, Investorenfutter, genau dort, wo man den historisch so wertvollen Kaispeicher A für diesen Zweckbau abgerissen hätte. Die Überschrift lautete: „Hamburgs kühne Träume“.

Es kam bekanntlich komplett anders. Dafür sorgte, nach intensiver Vorarbeit hinter den Kulissen der Kulturszene, auch der damalige Laeiszhallen-Chef Benedikt Stampa. Er hatte immer wieder gefordert, sein gutes altes Konzerthaus, immerhin Baujahr 1908, endlich überlebensfähig und zukunftsfähig zu machen und es mit einem zweiten Gebäude zu entlasten. Und hatte sich immer wieder Prügel von Pfründe-Verwaltern eingehandelt.

Vor allem aber waren es der Projektentwickler Alexander Gérard und seine Frau, die Kunsthistorikerin Jana Marko. Irgendwann kam es zu einer Vier-Augen-Begegnung mit einem Gebäudemodell – unten Holz, der alte Kaispeicher A, oben eine Welle aus transparentem Plastik. Das Konzerthäuschen stand als Star eines Hintergrundgesprächs auf dem Wohnzimmertisch von Gérard und Marko. Und sprach, nur durch seine radikale Brillanz, für sich, entworfen als Opus 230 von den weltweit gefragten Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron aus Basel, die Gérard vom Studium kannte.

Der Wunsch, sich mit einer kulturellen Großtat zu profilieren

„Am Ende ist Architektur immer etwas Lokales“, hatte Herzog in der Anfangszeit dieses Projekts gesagt, „wenn du hingehst, muss es dich umhauen.“ So kam es dann ja auch. Denn von Anfang an war dieses Jahrhundert-Thema auch ein lokales Thema, an dem man als Kulturredakteur und Musikkritiker der wichtigsten Zeitung Hamburgs nicht vorbei konnte, ohne Vorfreude zu verspüren über eine einzigartige Chance der Stadt, sich endlich mit einer kulturellen Großtat zu profilieren.

Über ein radikales Gebäude, das es so noch nie gab auf der Welt. Über den Ehrgeiz von Künstlern, Mäzenen und Bürgern, Kultur endlich ganz oben auf die Agenda des Rathauses zu setzen, anstatt selbstgefällig das Pfeffersack-Image zu polieren und auf den Feierabend zu warten.

Am 6. Juni 2003 wurde in der Überschrift eines Abendblatt-Artikels die Frage gestellt „Elb-Philharmonie auf dem Kaispeicher?“ Damit war die Katze erstmals aus dem Sack, der Abdruck der ersten Computer-Entwürfe löste euphorische Reaktionen in der Stadt aus. Zwei Monate später forderte ein Dutzend Hamburger Architekten das Rathaus auf, ihren Schweizer Konkurrenten die Verwirklichung ihrer Idee auf dem Kaispeicher A zu ermöglichen.

Im Laufe des aus heutiger Sicht unfassbar rasanten Meinungsumschwungs wurde der Media City Port endgültig als Schnapsidee beerdigt, ebenso der krause Plan der damaligen Kultursenatorin Dana Horáková, einen „AquaDome“ mit Show-Aquarium im Osten der HafenCity zu errichten. Bürgermeister Ole von Beust, ansonsten bekennend kulturfern, erkannte seine Chance, sich als Elbphilharmonie-Weichensteller mit der Ansage „Achtung, Wahrzeichen!“ in der Stadtgeschichte zu verewigen.

Jahre später, in seinen Befragungen vor dem Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft zu den Kostenexplosionen und Planungskatastrophen, schien er mitunter Mühe zu haben, sich überhaupt noch an irgendeinen Aspekt seines politischen Engagements zu erinnern.

Pleiten, Pannen, Pech und Peinlichkeiten

Die Geschichte hatte abenteuerlich und unberechenbar begonnen, geradezu märchenhaft ging sie weiter: Auf einmal waren Mäzene da, die zweistellige Millionensummen spendierten. Ein Ruck ging durch die Stadt. Das war eine Seite der Medaille. Die schöne.

Die andere war weniger schön, aber für Journalisten ein enorm dankbares Thema, über das sich aus etlichen Perspektiven kritisch berichten ließ. Pleiten, Pannen, Peinlichkeiten. Probleme, die sich stapelten. Jahre vergingen, Verantwortliche kamen, scheiterten und wurden wieder gegangen. Abgewählt, gefeuert. Schlichtweg überfordert.

Kiloschwere Verträge wurden entworfen und als unbrauchbar verworfen. Einige kommunalpolitische Befürworter von gestern wurden zu Kritikern, die so taten, als hätten sie mit den Wurzeln der vielen Übel nichts zu tun. Die einzige Konstante blieb die riesige Unsicherheit – wie hoch wird der Preis noch klettern, wie viel später wird es noch werden bis zum Abschluss der Bauarbeiten und dem ersten Konzert? Während die gläserne Welle weiter in den Himmel wuchs, auf einem Bauwerk, in dem es früher muffig nach Kaffee und Kakao gerochen hat, wuchsen auch die Begleitprobleme höher und höher.

In diesem Sommer wurde, wieder einmal, ein Schlussstrich unter die Querelen und Fehler gezogen. Man ging nicht zurück auf Los mit der Neuordnung von Verantwortungen und Zuständigkeiten, doch die Politik beseitigte gravierende Fehler aus der Frühphase.

Unterdessen ist das Gebäude selbst zu einer Art Scheinriese geworden: Innerhalb der Stadt finden sich viele, die der Idee Elbphilharmonie vor allem oberflächliche Protz- und Prunkabsichten unterstellen und dabei die fundamentale kulturelle und gesamtgesellschaftliche Bedeutung ausblenden.

Aber je größer die Entfernung der Betrachter von auswärts ist, desto größer ist auch die Bewunderung, für den endlich konsequent angegangenen Mut zum großen, gewagten Denken. Außerdem: Wie man sich komplett und gründlich mit einem Projekt überhebt, diese Peinlichkeit leisten sich ja zeitgleich die Berliner und die Brandenburger mit ihrem Großflughafen. 2017 soll die Elbphilharmonie eröffnet werden. Das sollte zu schaffen sein. Und das Elend der vergangenen Jahre wird irgendwann nur noch eine Fußnote sein, abgeheftet unter „Wie alles begann“.

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