Zum Tag der Deutschen Einheit

Wenn Deutschland so ist, wie es sich während der zweitägigen Feierlichkeiten in Stuttgart präsentiert hat, dann sind wir: eine fröhliche und vor allem föderale Nation. Wenn Deutschland so wird, wie es sich Bundespräsident Joachim Gauck wünscht, dann werden wir: eine ernsthaftere und mehr auf die globalen Probleme ausgerichtete Nation. Nationale Feiertage sind immer auch ein Akt der Standortbestimmung und der Selbstvergewisserung. Insofern ist Gaucks Botschaft unbequem. Sie lautet: Deutschland muss seine Ausrichtung neu justieren. Weniger Selbstgenügsamkeit, weniger Klein-Klein. Mehr Verantwortung für das große Ganze, für Europa, für die Krisenherde in aller Welt. SÜDWEST-PRESSE

Weder müssen wir Deutsche heute, bald 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in Sack und Asche gehen noch uns vor internationaler Verantwortung mit eben diesem Blick auf die schreckliche Nazi-Zeit drücken. Wer einen Ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anstrebt, der darf auch nicht ständig lavieren. „Deutschland ist keine Insel“, sagt der Bundespräsident. Soll heißen: Auch wenn wir nicht der Nabel der Welt sind, so dürfen wir nicht nur heimische Nabelschau betreiben. Was uns mit der Wiedervereinigung geschenkt wurde, müssen wir auf andere Weise der Welt zurückgeben. Nicht auftrumpfend, aber selbstbewusst. MANNHEIMER MORGEN

Die Deutschen können die Reden von Bundespräsident Joachim Gauck und auch von Kanzlerin Angela Merkel so deuten: Wir schauen am Jahrestag nicht mehr vor allem nach innen und danken denen, die die Einheit möglich gemacht haben, sondern Deutschland hebt den Blick: um den Nachbarn und dem Rest der Welt in die Augen zu sehen. Sie schauen auf uns, sagt die Kanzlerin. Sie weiß inzwischen sehr wohl um das Gewicht Deutschlands und ihrer eigenen Stimme jenseits der Grenzen. Die Deutschen sollen den Blick heben, sie sollen selbstbewusst sein, aber nicht überheblich werden. DER TAGESSPIEGEL