Regional, nachhaltig, bio: Küchenchefs entdecken die Hausmannskost neu und setzen auf ökologisch erzeugte Zutaten aus der Heimat.

Harburg. Eine aktuelle Emnid-Studie zeigt: Die Hälfte aller Verbraucher achtet beim Einkauf auf regionale Lebensmittel. Das gilt auch für immer mehr Küchenchefs. Klingt nach guten Gewissens-Bissen. Wir haben drei Speisekarten auf ihre Nachhaltigkeit getestet.

Ramster, Schneverdingen

Zuerst befallen den Restauranttester echte Gewissensbisse: Mit dem Auto in die Lüneburger Heide fahren und Köche verurteilen, die ihr Fleisch klimaunfreundlich aus Übersee beziehen? Besseresser sind manchmal bequem und inkonsequent. Immerhin, mein Ziel hat sich überwiegend kurze Wege in die Speisekarte geschrieben. Marcus Ramster ist Erster Vorsitzender des Vereins Regionale Esskultur. Darin haben sich Gastronomen und Hofladenbetreiber verpflichtet, vornehmlich Produkte aus der Region zu verarbeiten. Die Aufnahmekriterien reichen vom Erscheinungsbild innen und außen, das "regional authentisch" sein soll, über die Bereitschaft, mindestens 50 Prozent der Rohstoffe aus der Region zu beziehen, bis hin zum Lieferantenhinweis in der Speisekarte. Zu einem echten Gütesiegel, auf das sich Verbraucher verlassen können, fehlen leider die Kontrollen der Mitgliedsbetriebe. Und 50 Prozent regionale Produkte bedeuten eben auch, dass die andere Hälfte mit Steaks aus Argentinien oder asiatischen Meerestieren bestückt werden darf. Auch Küchenchefs sind manchmal bequem und inkonsequent. Und sie dürfen nicht nur ökologisch denken, sondern müssen ökonomisch handeln.

Deswegen kommt bei Marcus Ramster das Rumpsteak aus Südamerika und die Heidschnuckenkeule aus Schneverdingen. Sämtliche Gerichte mit Regionalbezug sind à la carte gekennzeichnet. Landwirt Cord Heins aus Lünzen liefert zum Beispiel regelmäßig frisches Damwild und Schinken. Vom Verein Naturschutzpark gibt's die Heidschnucken. Schlachter Dirk Meyer macht daraus köstliche Bratwurst - mit Pilzen der Saison, kleinen Kartoffeln und Heidschnuckensoße für 11,90 Euro in der Karte.

Ich entscheide mich für das regionale Drei-Gänge-Menü zum Preis von 31,50 Euro. Die Vorspeise schmeckt großartig: feinsäuerliche Senfsuppe mit Limonenöl. Endlich mal eine spannende neue Suppenkreation! Das Fleisch des Hauptgerichts stammt von Heideschlachter Dehning. Schweinefilet an Kalbsjus mit Pfifferlingen, Marktgemüse und Kartoffelgratin. Abschließend serviert die sympathische Seniorchefin Hatice Ramster marinierte Erdbeeren mit hausgemachtem Vanilleeis. Dem Michelin-Führer ist das immerhin den "Bib Gourmand" wert, die Auszeichnung für ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Erst im Jahr 2000 ist man hier mit dem Restaurantgeschäft gestartet. Das Drumherum hat nicht viel mit traditioneller Heideromantik zu tun. Beim Aufnahmekriterium "Erscheinungsbild" des Vereins Regionale Esskultur müsste sein Erster Vorsitzender eigentlich durchfallen. Statt "regional authentisch" erscheint das Ambiente eher bunt-modern mit grünen Servietten, weiß eingedeckten Tischen und schwarzen Stühlen auf roten Bodenfliesen. Heidemahl anders.

Op'n Diek, Mittelnkirchen

Was bestimmt regionale Küche - die Herkunft der Zutaten oder des Rezeptes? Für Erika Haupt ist eines viel wichtiger: die Jahreszeit. Die Inhaberin des Gasthauses Op'n Diek im Alten Land lässt sich von der Saison leiten. "Ich mache morgens den Kühlschrank auf und überlege: 'Was koch' ich heute?'" Dann fährt sie einkaufen und schreibt die Tagesgerichte auf acht verschiedene Tafeln, die am Tresen der Gaststube stehen. Eine Speisekarte gibt es nicht.

Die gelernte Goldschmiedin Jahrgang 1941 - klein, resolut, herzlich - ist ein Import aus Schwaben. 1985 hat sie das über 200 Jahre alte Fachwerkhaus auf dem Deich "als Ruine", wie sie betont, gekauft und daraus ein Lokal gemacht. Die Lage direkt am Obstmarschenweg ist ausflugsfreundlich. Hinterm Haus befindet sich ein kleiner Garten mit Obstbäumen direkt an der Lühe. Wenn darin Tische und Stühle aus Holz wären anstatt aus Plastik, wäre die Idylle perfekt.

Drinnen könnte man die Atmosphäre als altmodisch bezeichnen. Nostalgisch trifft es besser. Knarzige Dielenbretter, ein alter Holztresen und weiße Häkeldecken auf den Tischen sind ein bisschen wie Zeitreise. Im Sommer halten die Touristen. Es sei denn, fehlender Sonnenschein macht einen Strich durch die Gastwirtrechnung. Im Winter kommen eher Einheimische. Bis dahin muss Geld verdient werden. Miriam Haupt-Bohnenberger leitet gemeinsam mit ihrer Mutter das Gasthaus. Sie produziert die köstlichen Geschenkartikel zum Mitnehmen: Marmeladen aus eigenen Gartenfrüchten, Sirupe von benachbarten Flieder-, Holunder- und Rosenblüten. Regionaler geht's nicht. Ab November macht sie Pralinen und backt Kekse. Die dunkle Jahreszeit will gefüllt werden.

Bis es soweit ist, machen Tagesgäste Station in der früheren Poststation. Heute Mittag steht Pilzpfanne auf einer der Tafeln. Erika Haupt hat Pfifferlinge, Champignons und Kräuterengerlinge geputzt und zerkleinert. Die kommen in die Pfanne, genauso wie Kartoffeln und Rührei als Begleitung. 13,50 Euro kostet der Schmaus. Ihre Küche ist einfach. "Bei mir gibt's Hausmannskost". Damit kocht sie zeitgemäßer, als man denkt. Denn regionale Küche hat auch viel mit überlieferten Rezepten zu tun. Die mit Eiern und Speck gebratenen Maultaschen (8,50 Euro) sind eine Erinnerung an ihre schwäbische Heimat. Gutbürgerlichkeit so weit der Gaumen reicht. Kein Gericht traut sich über die 15-Euro-Grenze. Nachmittags sind die Früchte auf den selbst gebackenen Obstkuchen natürlich aus dem Alten Land.

Himmelhoch, Dahlem, Harmstorf

Vom Himmelhoch, da komm ich her. Ich bring' euch gute neue Mär. Das Himmelhoch liegt bei Dahlenburg. Und die Mär handelt von drei Menschen mit einer Überdosis Großstadt. Das war vor zehn Jahren. Inga Rundt, Matthias Heider und seine Frau Andrea suchten ein Refugium auf dem Lande und fanden einen alten Bauernhof. 2005 entstand die Idee, einen Treffpunkt zu schaffen.

Das Besondere: Die Zutaten sind allesamt biozertifiziert. Der Betrieb ist Partner des Anbauverbandes Bioland. "Was nicht Bio ist, kommt nicht auf die Karte", sagt Matthias Heider. Eine mutige Entscheidung, denn Biozutaten sind erwiesenermaßen nicht gesünder als konventionell erzeugte, aber teurer. Am Wochenende kämpft ein Drei-Gänge-Mittagsmenü für nur 12,50 Euro gegen dieses Image. Dem gelernten Informatiker geht es in erster Linie um "soziale Nachhaltigkeit". Denn zwei Argumente sprechen zweifelsfrei für biologisch erzeugte Lebensmittel: artgerechte Tierhaltung und kurze Wege. Zum Beispiel die Strecke nach Amt Neuhaus. Von dort stammen frei laufende Auerochsen. Küchenchef Udo Kühn gart daraus Involtini vom Rind in Pfeffer-Cognacsoße mit Kartoffel-Kräuterplätzchen (18,50 Euro). Die Firma Benecke aus dem nahen Jelmstorf liefert Bio-Saiblinge. Der Hamburger Pannfisch, aktuell mit einer Dill-Senfsoße, Gurkensalat und Bratkartoffeln auf der Karte (14,50 Euro), stammt aus Wildfang. "Wir bieten Bio ohne Dogmatismus", betont der Chef. Im Prinzip hätten sie ihr Hobby zum Beruf gemacht.

Das hat anscheinend auch viel mit Spiritualität zu tun. Der Gastraum wurde nach Feng-Shui-Regeln gestaltet, an der Wand wacht ein gemalter Engel. Wer möchte, kann sich Infos zu Heilfasten und Lachyoga mitnehmen. Durch den lauschigen Bauerngarten führt ein Pfad mit Gedichten. Drinnen gibt's Lyrikschachteln zum Mitnehmen. Sie können für ein Frauenprojekt in Indien spenden oder die Delfintherapie einer Behinderten namens Sabrina unterstützen. Den kleinen Gästen ist das egal. Die freuen sich über den Spielplatz direkt vor der Tür, zwei Esel, drei Schafe und eine Heidschnucke.

Und über Bioeis! Neben den Kinderfavoriten Erdbeer, Vanille oder Schoko genießen die Großen ambitionierte Geschmacksrichtungen wie Rosmarinkrokant, Rosenblüte, Sanddorn und sogar veganes Möhreneis. Ihren Höhepunkt erleben diese Sorten in der Fitnessschale auf Salatbett mit Rohkost und Kokosflocken für 6,50 Euro.