Berlin. Chaos in Kasachstan: Die Regime in Russlands Nachbarschaft sind instabil. Nur demokratische Öffnung hilft, meint Michael Backfisch.

Es sind verstörende Bilder, die aus dem zentralasiatischen Riesenland Kasachstan um die Welt gehen. Gewaltbereite Demonstranten stürmen Verwaltungsgebäude und plündern Geschäfte. Die Polizei schlägt brutal zurück und erschießt offenbar Dutzende Protestler. Bürgerkriegsähnliche Kampfszenen verbreiten sich in den sozialen Netzwerken.

Die Ausschreitungen überraschen auf den ersten Blick: Kasachstan ist ein reiches Land. Es zählt zu den wichtigsten Rohöllieferanten Deutschlands und der EU und verfügt über bedeutende Metalle für Hochtechnologien.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent in der FUNKE Zentralredaktion
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent in der FUNKE Zentralredaktion © Reto Klar | Reto Klar

Die Unzufriedenheit der Bevölkerung in Kasachstan köchelt

Es ist ein Gesetz der Serie: Autoritäre Regime sorgen durch massiven Druck von oben für Scheinstabilität, die aber mit Friedhofsruhe erkauft wird. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung köchelt unter der Oberfläche und bricht sich bei bestimmten Anlässen Bahn. Russlands Präsident Wladimir Putin hat nun nach der Ukraine und Belarus ein weiteres Problem in seiner Nachbarschaft.

Auslöser der Proteste war eine Verdoppelung der Preise für Flüssiggas, das in Kasachstan als Kraftstoff für Autos genutzt wird. Die Regierung hat bei der Subventionierung den Stecker gezogen und wollte Marktpreise einführen, ruderte dann aber wieder zurück. Da jedoch die Preise für Lebensmittel generell nach oben schossen und die Währung in den Keller rauschte, gingen die Menschen im ganzen Land auf die Straße. Lesen Sie hier: Chaos in Kasachstan - Putin schickt Fallschirmjäger

Kasachstan: Kein Raum für Mitsprache der Bürger

Dahinter steckt nicht nur der Unmut über materielle Mängel, sondern auch die Wut über eine patriarchalische Herrschaft, die praktisch keinen Raum für Mitsprache der Bürger lässt. Der Langzeit-Autokrat Nursultan Nasarbajew war von 1990 bis 2019 Präsident und zog danach als Chef des Sicherheitsrates die Fäden. Nach dem Aufflammen der Unruhen trat er am 5. Januar zurück.

Er hinterlässt ein Land, das von Korruption durchdrungen ist und dessen politische Eliten schamlos in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Daran hat sich auch unter dem neuen Staatschef Kassym-Schomart Tokajew nichts geändert.

Weder UN noch die USA oder die Europäer werden eingreifen

Dass Tokajew angesichts der Gewaltwelle im Land Hilfe von außen anfordert, ist an sich legitim. Ein regionales Sicherheitsbündnis unter Führung Russlands, dem ehemalige Sowjetrepubliken wie Kasachstan und Belarus angehören, entsendet nun „Friedenstruppen“.

Der Westen wäre für die Stabilisierung der Lage in Zentralasien die falsche Adresse. Weder werden die Vereinten Nationen Blauhelmsoldaten schicken, noch werden Amerikaner oder Europäer eingreifen. Sie können allenfalls appellieren und mahnen – aber es bleibt bei Lippenbekenntnissen.

Protestler in Almaty, der größten Stadt in Kasachstan. Auslöser der Proteste war eine Verdoppelung der Preise für Flüssiggas, das in dem Land als Kraftstoff für Autos genutzt wird.
Protestler in Almaty, der größten Stadt in Kasachstan. Auslöser der Proteste war eine Verdoppelung der Preise für Flüssiggas, das in dem Land als Kraftstoff für Autos genutzt wird. © AFP | ABDUAZIZ MADYAROV

Stabilität etablierter Machtstrukturen geht Putin über alles

Theoretisch bietet die Kasachstan-Krise eine Chance für Putin. Er könnte aufgrund seines Gewichts in der Region dafür sorgen, dass sich die Situation abkühlt. Das Problem: Der Kremlchef fühlt sich als Garant des Status quo – egal, ob in Kasachstan, Belarus oder Syrien. Die Stabilität etablierter Machtstrukturen geht ihm über alles.

Dass die Bevölkerung durch eine Politik der eisernen Faust unterdrückt wird, nimmt er in Kauf. Dabei wird der Präsident auch von der Angst getrieben, dass Demonstrationen und die Forderung nach mehr Freiheit auf Russland übergreifen könnten. Auch interessant: Gewalt in Kasachstan - Russland verlegt erste Truppen

Ksachstan: Öffnung für demokratische Institutionen ist nötig

Mit der Abkommandierung von Soldaten können Putin und seine Verbündeten wohl kurzfristig verhindern, dass die Spannungen in Kasachstan in Gewaltexzesse und Anarchie münden. Aber die Ruhe wäre trügerisch. Langfristige Stabilität entsteht dadurch nicht.

Dazu bedarf es einer zumindest schrittweisen Öffnung für demokratische Institutionen, politischer Teilhabe und einer gerechteren Verteilung des Reichtums. Das wiederum liegt nicht in Putins Logik. Deshalb sind weitere Proteste vorprogrammiert – nicht nur in Kasachstan.