Ist die SPD noch zu retten?

2. Dezember: Die Selbstzerstörung der SPD. Mitgliederentscheid gegen Scholz zwingt die Partei auf einen Linkskurs – für Peter Tschentscher eine schlechte Nachricht

Ob der designierte Parteichef Norbert Walter-Borjans und seine Polit-Partnerin Saskia Esken die SPD retten können, ist keinesfalls ausgemacht. Genauso wenig, ob diese Partei überhaupt noch zu retten ist. Geradezu putzig aber ist, dass Matthias Iken in seinem Leitartikel so tut, als wäre der Aufstieg der Sozialdemokraten aus dem derzeitigen Elend mit Olaf Scholz programmiert gewesen. Iken bescheinigt der SPD „Todessehnsucht“, weil die nicht den Hamburger Olaf Scholz auf den Schild gehoben hat. Dessen Niederlage sei eine Niederlage der Vernunft. Walter-Borjans und Esken „mauern die SPD dauerhaft unter 20 Prozent ein“. Wie bitte? Wo liegt die SPD denn jetzt, nachdem der vermeintliche „Vernunft“-Politiker, Groko-Befürworter und Lordsiegelbewahrer der schwarzen Null Scholz jahrelang den Kurs der SPD ganz maßgeblich mitbestimmt hat? Im Bund bei 15 Prozent und im Osten teilweise nur noch einstellig. Diejenigen, die die Partei bisher geführt haben – Olaf Scholz ganz vorneweg – konnten den permanenten Niedergang nicht mehr aufhalten. Schon nach der ersten GroKo-Periode war ersichtlich, dass es in dieser Konstellation mit der SPD immer nur nach unten gehen würde, und trotzdem entschieden sie sich für ein „Weiter so“ in Richtung Untergang. Das Mitglieder-Votum für eine neue SPD-Führung ist Notwehr einer Basis-Mehrheit, die erkannt hat, dass der bisherige Kurs eines Olaf Scholz keineswegs fortgesetzt werden kann, wenn die SPD noch eine letzte Chance bekommen will.

Christoph Lütgert, Hamburg-Volksdorf

Mitleid mit der SPD

Eine unglaubliche Entwicklung: Wie auf einem Volkstanzkursus finden sich in der SPD skurrile Paarungen zusammen, um über Wochen den Parteiführungsanspruch – als Plagiat der Grünen-Doppelspitze – zu erstreiten. Der nun „gedemütigte“ Olaf Scholz hatte zuvor – man fasst sich an den Kopf – erklärt, er könne mit seiner Arbeitsbelastung als Finanzminister eine gleichzeitige Parteiführung nicht vereinbaren. Damit hatte er sich eine (erschütternde) historische Sonderstellung erarbeitet. Und nun bleibt ihm versagt, gemeinsam mit einer Partnerin, seinen Fehler zu korrigieren. Vielleicht hat er der SPD durch sein Verhalten den Garaus gemacht. Offenbar hat keiner den Mut oder die Kompetenz, Kevin Kühnert, der die SPD vor sich hertreibt, zur Brust zu nehmen. So geht’s weiter bergab. Mit nostalgischen Mitleidsgefühlen sehe ich als alter Hamburger die durchaus oft beschimpfte „Alte Tante SPD“ zugrunde gehen. Ich erlaube mir aber, meine konservative Haltung so auszuleben, dass ich versuchen werde, uns Hamburgern die Herren Tschentscher und Dressel zu erhalten.

Gerd le Bell

Träumende Provinzpolitiker

Matthias Iken bringt das Trauerspiel in der SPD auf den Punkt. Die einst so große Volkspartei der linken Mitte, die mit Vernunft und Verantwortungsbewusstsein so viel für Deutschland geleistet hat, kreist nur noch um ihre innere Befindlichkeit und setzt das Parteiwohl über das Wohl des Landes. Seit vielen Jahren arbeitet sich ihr linker Flügel an der GroKo und an Schröders „Agenda 2010“ ab, wobei vergessen wird, wie Deutschland damals mit großen Wirtschaftsproblemen und rund fünf Millionen Arbeits­losen zu kämpfen hatte und als „kranker Mann Europas“ galt. Mit der Agenda-Politik des „Förderns und Forderns“ und den „Hartz-IV-Reformen“ hat die SPD einst den Grundstein für eine beispiellose wirtschaftliche Erholung gelegt und die Voraussetzungen für den anhaltenden Boom geschaffen, der half, die Finanzkrise von 2010 zu überwinden und der seither dem Staat die sprudelnden Steuermilliarden beschert hat, mit denen zahlreiche soziale Segnungen finanziert werden konnten. Unser Sozialstaat ist inzwischen schon so verfettet, dass die Politiker nach immer weiteren „benachteiligten Minderheiten“ oder „sozialen Ungerechtigkeiten“ suchen müssen, die mit staatlicher Umverteilung sediert werden könnten. So wurden immer neue gesetzliche „Rechtsansprüche“ geschaffen, die den Staat zunehmend zum fürsorglichen Vormund der Bürger macht und bei diesen Eigenverantwortung und Unternehmergeist erlahmen lassen und das kindliche Anspruchsdenken fördern. Den jetzt tonangebenden Linken in der SPD im Verein mit der Linkspartei und Teilen der Grünen ist dies offenbar noch nicht genug. Sie betreiben weiter Klientelpolitik für Transferempfänger als ihre Machtbasis. Ob man einer SPD mit Provinzpolitikern wie Eskens und Walter-Borjans und ihren links-ideologischen Träumereien noch die Regierung dieses Landes anvertrauen kann, erscheint angesichts der sich abzeichnenden weltpolitischen Umwälzungen sowie der wirtschaftlichen Probleme in Deutschland und Europa mehr als zweifelhaft. Das lässt auch für die Hamburg-Wahl im Februar Schlimmes befürchten.

Dr. Hans Kaufmann, Hamburg

Die gesamte Bewegung zählt

Die SPD zerstört sich nicht selbst. Es sind die Bürger Deutschlands, die einfach außerstande sind, zu begreifen, dass es sich bei der SPD um eine gesamtgesellschaftlich orientierte Bewegung handelt. Ohne die SPD – zusammen mit den Gewerkschaften – sähe es düster aus bei uns. Wer das einsieht, der schafft es auch, weniger attraktive Parteispitzen zu verkraften, weil er weiß, dass es für die politischen Ziele nicht auf Personen, sondern auf die gesamte Bewegung ankommt. Als Sozialdemokrat habe ich zwar für Olaf Scholz gestimmt, weil er für die „schwarze Null“ und gegen ein leichtfertiges Verlassen der GroKo ist, mit „Schmerzen“ aber auch, weil er rhetorisch eine Schlaftablette ist. Noch einmal: Es kommt darauf an, dass die Menschen begreifen, welche Partei für sie Konkretes durchsetzen will. Die SPD will, und nur das kann richtig sein, Klimapolitik mit den Menschen und nicht gegen die Menschen und gegen ihre Arbeitsplätze machen. Würde die SPD die gleichen elenden Phrasen dreschen, wie das zurzeit die Grünen tun, läge sie schon lange unterhalb von fünf Prozent.

Bernd Wenzel, Buchholz

Trauerspiel Fürsorgepflicht

2. Dezember: „Viele Praxen haben kein Interesse an Behinderten“Initiative untersuchte die Barrierefreiheit in Hamburg

Die Krankenversicherung kann gar nicht wissen, dass es keine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung in Hamburger Arztpraxen gibt, da sich die KV bisher nicht um das Thema gekümmert hat. Im großen Stadtteil Wandsbek ist mit Hilfe der Suchfunktion auf der Webseite der KV keine einzige barrierefreie Praxis für Gynäkologie, Kinderheilkunde oder HNO zu finden, sondern nur für Allgemeinmediziner, überwiegend von Ärztinnen. Die KV vertritt rund 5000 Ärzte und Therapeuten, von denen gerade mal 134 sich haben testen lassen und bereit sind, Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu versorgen. Die Fürsorgepflicht der KV – ein Trauerspiel.

Jule Friedrich, Hamburg

Harburg: Hamburgs Stiefkind

30. November/1. Dezember: Wenn jeden Tag Black Friday ist. So schnell hat die Politik noch nie die Milliarden verteilt. Nun gerät sogar die Schuldenbremse ins Visier

Das hat gesessen. Geldsegen für Hamburg, fast überall. Nur nicht für den Bezirk Harburg. Dieser Industriestandort fährt zwar für die Hansestadt vermutlich die meisten Steuern ein, aber bei der Rückführung von Steuergeldern, hier z.B. für Kulturgut – nix! Es ist ja lobenswert, Kampnagel, Hafenmuseum, BallinStadt und die „schradellige“ Markthalle hunderte von Millionen zu spendieren. Wenn man dann auch noch an die „Aufhübschung“ des Hamburger Rathausmarktes denkt und an die Milliarden für neue U- oder S-Bahnstrecken in Hamburg Nord – dann fällt mir nix mehr ein. Harburg ist das Stiefkind der Hansestadt. Der kleine Fischbrunnen, von dem 1983 verstorbenen Heimatkünstler Carl Ihrke vor seinem Tod entworfen, ist seit Jahren außer Betrieb, für den sind bisher keine fünfzehntausend Euro für einen Wasseranschluss machbar. Aber vielleicht kann ja die große Geldgießkanne von Hamburg Mitte mal ein paar Tropfen Euro zur Lämmertwiete „rüberpinkeln“. Dieser historische Ort war vor langer Zeit für Harburger Fischer die Waschstelle für ihren Fischfang.

Gerd Weißmann, Freundeskreis für den Heimatkünstler Carl Ihrke