Bärendienst für Demokratie

14. April: ,Verbale Lynch­jus­tiz‘. Der Hamburger Jurist Gerhard Strate über TV-Moderator Jan Böhmermann

Herr Erdogan ist eine Gefahr für sein Land und auch für uns. Mit dem Schmähgedicht, das unter dem Deckmäntelchen „Grenze zur Satire aufzeigen“ daherkommt, hat Herr Böhmermann jedoch allen demokratisch denkenden Menschen einen Bärendienst erwiesen. Ein beleidigender Angriff auf ein Mitglied einer Gemeinschaft führt auch dann zur Solidarität mit dem Angegriffenen, wenn es Kritikpunkte an der betreffenden Person gibt. Das ist in einem Staat nicht anders als in der Familie. Herr Böhmermann und das ZDF haben sich unfreiwillig zum Wahlhelfer für Herrn Erdogan gemacht.

Sabine Raschdorf, per E-Mail

Kumpanei mit Psychopathen

Gerhard Strate blendet das Wesentliche aus: Erdogan selbst. Dieser Präsident ist ein krankhaft narzisstisch gestörter Mensch, der nationale und internationale Politik für die Befriedigung seiner Persönlichkeitsstörung missbraucht. Wer mit verbalen Brandsätzen hantiert und reale gegen Teile der eigenen Bevölkerung werfen lässt, dem ist mit der Betonung auf die allgemeine Gültigkeit der Menschenrechte nicht beizukommen. Die Meinung, dass Böhmermann nur die Speerspitze einer „geistigen und moralischen Verwahrlosung“ unserer Gesellschaft darstellt, teile ich mit Gerhard Strate. Das Pro­blem, das sich daraus ergibt, ist jedoch nicht die Verwechslung von Banalität mit Satire, sondern der Eigennutz einer Gesellschaft, der die Kumpanei mit einem gefährlichen Psychopathen wichtiger ist, weil dieser einen vermeintlich vor den Begehrlichkeiten eines Flüchtlingsansturms schützt.

W.-Rainer Müller-Broders, per E-Mail

Die Grenze der Freiheit

Satire darf sicher anklagen, entlarven, übertreiben, überspitzen und verfremden. Dabei auch an Grenzen gehen. Vielleicht ist es Kunst, wenn es gut gemacht ist, aber bestimmt durch Meinungsfreiheit gedeckt. Dabei gibt es aber immer einen Ausgangspunkt, einen Bezug oder konkreten Anlass für die Kritik. Völlig in der Luft stehende Beleidigung ohne Bezug zu einer realen Eigenschaft oder Handlung ist daher wohl keine Kunst. Das ist Flegelei. Satire sind Bezeichnungen wie „Ziegenficker“ sicher nicht. Was wird eigentlich durch Zuordnungen wie „pervers, verlaust und zoophil“ kritisiert oder entlarvt? Die Freiheit des einen findet ihre Grenze da, wo die Freiheit des anderen beginnt. Die Medien und gerade die öffentlich-rechtlichen Anstalten sollten sich aufgerufen fühlen, die Absichten unseres Grundgesetzes zu schützen und zu verteidigen, und nicht das Aufmerksamkeitsbedürfnis eines Wichtigtuers unterstützen.

Malte C. Doenselmann, per E-Mail

Übers Ziel hinausgeschossen

Die sogenannte Satire von Herrn Böhmermann ist nun schon seit Tagen von unterschiedlichen Seiten beleuchtet worden. Aus allem gewinne ich die Erkenntnis, dass die Meinungen sehr unterschiedlich sind. Die Politik ist nun auch involviert, Gerichte werden beschäftigt. Ein langer Weg mit einem offenen Ende, aber mit einer vergifteten Atmosphäre. Mag sein, dass sich Herr Böhmermann als tapferen Helden auf der Mattscheibe sah. Mittlerweile hat er wahrscheinlich eingesehen, dass sein Beitrag total überzogen und beleidigend war. Seine vulgäre Ausdrucksweise ist nicht zu akzeptieren. Zu akzeptieren allerdings wäre, wenn Herr Böhmermann sich um ein Gespräch mit Herr Erdogan bemühen und zugeben würde, dass er mit seiner „Satire“ weit über das Ziel hinausgeschossen ist. Mit dieser Aktion könnte er beweisen, dass er nicht nur im Fernsehen, sondern auch im realen Leben Format hat.

Dietrich Schaefer, per E-Mail

Kontext berücksichtigen

Unberücksichtigt lässt Gerhard Strate den – auch für die strafrechtliche Beurteilung relevanten – Kontext des Böhmermann-Gedichts. Dieses war in der Satiresendung als Beitrag zu einer von Erdogan geübten Kritik an dem kurz zuvor in der Sendung „extra 3“ gezeigten Lied über den türkischen Präsidenten mit dem Titel „Schmähkritik“ anmoderiert worden. Ob das Gedicht – wie möglicherweise sogar von Böhmermann selbst angenommen – den strafrechtlichen Tatbestand der Schmähkritik erfüllt, wird von der Justiz zu prüfen sein. Voraussetzung wäre insoweit, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person Erdogan im Vordergrund stehen würde. Nachdem der türkische Präsident auf den „extra 3“-Beitrag mit der Einbestellung des deutschen Botschafters reagiert und damit selbst die Debatte um eine Beleidigung seiner Person durch die Satiresendung ausgelöst hatte, dürfte sich hier eine schwierige Gemengelage ergeben. Zu einer Beurteilung dieser Frage ist aber letztlich weder der türkische Präsident noch die deutsche Bundesregierung oder Gerhard Strate berufen, sondern zunächst die Staatsanwaltschaft Mainz. Ob das Ergebnis dieser Prüfung bzw. der Ausgang eines möglichen Gerichtsverfahrens den Erwartungen Erdogans entspricht, der während seiner Amtszeit bereits über 1800 Prozesse wegen Präsidentenbeleidigungen geführt hat, erscheint fraglich.

Dr. Malte Wellhausen, per E-Mail

Klare Worte

Meinen Dank für die klaren Worte von Gerhard Strate. Böhmermanns Satire ist nicht nur beleidigend, sondern rassistisch und menschenverachtend auf dem Niveau primitiver Türkenwitze. Das ist übler Pegida-Stil, gehört nicht in öffentlich-rechtliche Medien und ist und bleibt strafwürdig.

Peter Schütt, per E-Mail

Das Werk als Ganzes sehen

Die Argumentation Gerhard Strates kann nicht überzeugen, auch wenn es zum Wesen einer Demokratie gehört, dass man selbstverständlich über Kunst streiten darf. Denn obwohl einzelne Passagen des Gedichtes von Jan Böhmermann grenzwertig erscheinen mögen, muss man das Werk als Ganzes sehen und es vor allem im vom Autor gewählten Kontext einordnen, um es wirklich zu verstehen. Schließlich lernt man bereits in der Schule, dass die Interpretation gerade von Poesie in der Regel immer im Auffinden einer indirekten, höher gestellten Botschaft liegt und niemals darin, die Worte an sich für bare Münze zu nehmen.

Rasmus Ph. Helt, Hamburg