Hamburg. In der Hochglanz-Reihe «Strafe» streamt RTL+ anspruchsvolle Inszenierungen von Justiz-Storys des Bestsellerautors von Schirach. Bei einer Folge verfällt Hans Löw als Museumswächter dem Wahnsinn.

Hans Löw hatte diesmal eine ganz eigene Art, sich auf eine Rolle vorzubereiten. In der Ferdinand-von-Schirach-Verfilmung «Der Dorn» ab Dienstag auf RTL+ stellt der Schauspieler einen Museumswächter dar, der fast 30 Jahre lang eine berühmte antike Skulptur bewacht.

Und der Film- und Bühnenstar Löw («Ich bin dein Mensch») nutzte vor den Dreharbeiten im vergangenen Sommer den eigenen Florenz-Urlaub mit seinen beiden neun und 12 Jahre alten Kindern, sich sehr persönlich an eine ähnlich bedeutende Plastik anzunähern. Wenngleich mit einem Augenzwinkern.

Michelangelo zur Vorbereitung

«Dem Regisseur Hüseyin Tabak habe ich in der Vorbereitung zum Film die Bilder geschickt, auf denen wir versucht haben, Michelangelos David originalgetreu abzumalen - und dabei alle drei auf sehr unterschiedliche Weise sehr gescheitert sind», erzählt der Hamburger im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Der 46-Jährige fügt hinzu: «Und dann schickte ich ihm auch noch ein Foto von dem dort leeren Stuhl in der Ecke, wo eigentlich der Wärter hätte sitzen müssen.»

Damit ist der Schauspieler auch schon mitten drin in der TV-Geschichte, die allerdings eine ernsthafte und bizarr-dramatische ist - eine aus dem Erzählungsband «Verbrechen» (2009) des Strafrechtlers und internationalen Bestsellerautors von Schirach.

Zusammen mit fünf Inszenierungen ebenfalls weitgehend fiktiver Justizdramen aus dessen Buch «Strafe» (2018) hat der Streamingdienst RTL+ sie in eine außergewöhnliche und sehenswerte Anthologie-Serie unter dem Obertitel «Strafe» verwandelt.

Sechs renommierte RegisseurInnen, darunter Oliver Hirschbiegel («Der Untergang») und David Wnendt («Feuchtgebiete»), haben auch ihre Drehbücher für die Produktion von Oliver Berbens Firma Moovie jeweils selbst verfasst. Und bieten zudem optisch-ästhetisch individuelle Vielfalt.

In kühlen Bildern gestaltet Hüseyin Tabak («Tatort - Borowski und der Fluch der weißen Möwe») den schrägen wie tragischen Fall eines lange unauffälligen Manns, der für seine Umgebung zum Terroristen mutiert.

Zum Auslöser gerät ausgerechnet ein Kunstwerk - der Titel «Der Dorn» bezieht sich auf den antiken «Dornauszieher». Ein seither beliebtes Motiv eines schönen Jünglings, der sich einen - nicht sichtbaren - Stachel aus seiner Fußsohle zu befördern bemüht. In einem Museum in Aachen ist Herr Feldmayer, Löws Rollenfigur, aufgrund eines Organisationsfehlers quasi dazu verdammt, ganz allein solch ein Exemplar in einem nur wenig besuchten Raum zu beaufsichtigen.

Ein einsamer Mensch

Der Verlauf offenbart, wie Feldmayer, ein völlig vereinsamter Mensch, mehr und mehr Zwangsvorstellungen entwickelt. Und schließlich - besessen vom fehlenden Dorn seines Marmorschützlings - seine ihm persönlich so fernen Mitbürger mit ganz anderen Dornen traktiert und verletzt. Um dann aus dem Anblick der Gequälten in Form von Fotos selbst eine Art Kunst zu schaffen. Am Ende - mit dem Tabaks Beitrag beginnt - scheint in Feldmayer förmlich eine Bombe zu platzen.

Sein Darsteller Löw hat bei alledem wenig zu sprechen, er bleibt aber über weite Strecken allein im Bild. Feinfühlig verkörpert der Schauspieler das verquere (Innen-) Leben des pedantischen Einzelgängers über eine oft wie erstarrt und autistisch wirkende Mimik und eine nur noch motorisch funktionierende Gestik.

In den Jahrzehnten, die bis zur Verrentung des Antihelden Feldmayer vergehen, passiert wenig, was das Herz höherschlagen lässt. Er wird bloß alt - Löw agiert dann, dank Maskenbildnerkunst, mit zerfurchtem Antlitz und weißer Mähne. «Einsamkeit ist eine der Überschriften gewesen, unter der ich meine Rolle angelegt habe», erklärt der Hauptdarsteller, «wenn man einsam und sehr sensibel ist, kann so etwas schon vorkommen.

Selbst im Lockdown hat man ja in Familien oder bei einzelnen Personen durchaus Wesensveränderungen feststellen können.» Er merkt an: «Das hatten wir beim Dreh auch im Gepäck - vor diesem Hiergrund hat sich durchaus eine neue Lesart angeboten.»

Doch Löw, der in seiner Jugend als Waldorfschüler ein Steinmetzpraktikum in der Toskana absolviert und daher «ein kleines direktes Verhältnis zur bildenden Kunst» hat, sagt auch: «Feldmayer ist auf maximale Weise sehr lange mit sich selbst konfrontiert. Deshalb ist es in gewisser Weise nicht so sehr ein Film über Recht und Strafe, sondern einer über Kunst. Weil man sich ja im Kunstobjekt auch immer selbst sucht und manchmal findet. Kunst wirft etwas auf einen zurück - und kann Veränderung bewirken.»