Berlin/Salisbury. Der Fall Skripal löste einen politischen Eklat aus. Eine Mini-Serie auf Arte zeigt jetzt den Giftanschlag aus einer anderen Perspektive - es geht um die Zufallsopfer und um die Angst in der Stadt Salisbury.

Ein älterer Mann und eine jüngere Frau sitzen auf einer Parkbank - sie sind nicht ansprechbar, ihre Körper zucken merkwürdig, der Mann erbricht. Passanten schlagen Alarm.

Haben die beiden etwa eine Überdosis Drogen genommen? Niemals, sind sich herbeigerufene Polizisten sicher. Gut gekleidet, Kreditkarte, der Mann über 60 Jahre alt - so sehen doch keine Junkies aus!

Was zu der Zeit aber noch niemand von den Helfern und Ermittlern ahnt: Vor ihnen sitzen die Opfer eines Anschlags, der binnen kurzer Zeit nicht nur ihre idyllische Kleinstadt in Südengland erschüttern wird, sondern die ganze Weltpolitik. "Der Giftanschlag von Salisbury" heißt eine kurzweilige, spannende Drama-Serie, die der Fernsehsender Arte am Donnerstag ab 21.05 Uhr in vier Folgen hintereinander zeigt.

Der russische Ex-Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julia kamen bei dem Anschlag im März 2018 mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok, einem der gefährlichsten Gifte der Welt, nur knapp mit dem Leben davon. Sergej Skripal arbeitete für den russischen Militärnachrichtendienst GRU und den britischen Auslandsgeheimdienst MI6. Im Jahr 2004 flog er auf und wurde zu 13 Jahren Lagerhaft verurteilt. 2010 wurde der Ex-Spion bei einem Gefangenenaustausch freigelassen und durfte sich in Salisbury niederlassen.

Im Fokus stehen nicht die prominenten Opfer

Ungewöhnlich und zugleich die Stärke der Serie ist, dass die Skripals - bis auf die Szene auf der Parkbank - nicht direkt in dem Drama dargestellt werden. Stattdessen stehen andere Personen im Fokus, die deutlich weniger öffentlich wahrgenommen wurden: Die Serie dreht sich um die nicht prominenten Opfer und um die Expertin Tracy Daszkiewicz.

Daszkiewicz war damals Direktorin des zuständigen Gesundheitsamtes und hatte vor allem die Aufgabe, die weitere Verbreitung des Nervengifts, das schon in winzigen Spuren tödlich sein kann, zu verhindern. Zudem sollte sie die Bürger beruhigen, die bis zur Aufklärung des Falls in großer Sorge lebten.

Teile der Stadt wurden für lange Zeit gesperrt, große Areale dekontaminiert und fieberhaft danach gesucht, wo sich die Skripals wohl vergiftet haben könnten - die Täter hatten die Substanz an eine Hausklinke geschmiert. Der britischen Schauspielerin Ann-Marie Duff gelingt es, die Stärken der Expertin, aber auch ihre Selbstzweifel eindrücklich darzustellen.

Trotz aller Bemühungen kamen noch drei Personen mit dem Nervengift in Kontakt: Polizist Nick Bailey - hervorragend gespielt von Rafe Spall ("Life of Pi") - sowie eine alkoholkranke Frau und deren Freund. Sie alle kämpften um ihr Leben. Doch es gab kein Happy End.

Die Frau, eine dreifache Mutter, starb qualvoll: Ihr Partner hatte einen weggeworfenen Flakon mit einer Flüssigkeit gefunden, die er für Parfüm hielt und ihr schenkte. Sie sprühte sich damit ein - das Fläschchen enthielt Nowitschok. Wer überlebte, litt noch lange unter Folgeschäden. Ermittler Bailey quittierte schließlich den Dienst, nach 18 Jahren, wie er im vergangenen Oktober bei Twitter mitteilte. "Dabei wollte ich Polizist werden, seitdem ich ein Teenager war."

Gute Einschaltquoten in England

Die BBC zeigte die Mini-Serie ("The Salisbury Poisonings"/2020) in drei Folgen und erzielte gute Einschaltquoten. Dass vor allem auf die menschliche Seite des Dramas und nicht auf die politische Lage fokussiert wurde, kam bei den britischen Zuschauern an. Arte versucht es nun mit vier kürzeren Folgen - allerdings ist der Anschlag sowohl zeitlich als auch örtlich dem Publikum in Deutschland nicht so nah.

Und was machen die Skripals heute? Julia Skripal verabschiedete sich Ende Mai 2018 in einem britischen Fernsehinterview - an ihrem Hals war eine große Narbe zu erkennen, denn sie musste lange über einen Schlauch in der Luftröhre beatmet werden. Vater und Tochter leben nun irgendwo im Geheimen, die Spekulationen reichen von Großbritannien bis Neuseeland. Die mutmaßlichen Täter sollen sich in Russland aufhalten. All das löste schwere politische Verwerfungen zwischen westlichen Ländern und dem Kreml aus - und hallt bis heute nach.

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