Tagung in Hamburg

Arbeit mit Kopftuch – Korrespondentin im Iran

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Irene Jung
ARD-Journalistin
Natalie Amiri (rechts) berichtet aus Teheran über die
Umwälzungen im Land – und die politische Lage

ARD-Journalistin Natalie Amiri (rechts) berichtet aus Teheran über die Umwälzungen im Land – und die politische Lage

Foto: ARD

Ein Land im Wandel: Auf einer Hamburger Tagung sprachen Journalisten und Forscher über einen Staat auf der Suche nach Weltgeltung.

Hamburg.  Vor einem Jahr tanzten die Iraner auf den Straßen: Nach dem Atomabkommen mit den fünf Vetomächten des UN-Sicherheitsrats und Deutschland bestand endlich Aussicht auf ein Ende der harten Wirtschaftssanktionen. Nach zehn Jahren werden sie jetzt schrittweise aufgehoben. Aber bringt das auch eine Öffnung und mehr Freiheiten im Gottesstaat? Darum ging es am Montag in der Diskussionsreihe „Auslandskorrespondenten treffen Wissenschaftler“, zu der der NDR und das Hamburger Forschungsinstitut GIGA eingeladen hatten. Mit auf dem Podium: Natalie Amiri, seit Juni 2015 ARD-Korrespondentin in Teheran.

„Die Iraner warten sehnlich auf einen Aufschwung“, sagt sie. Auf Präsident Hassan Rohani laste eine „Riesenhoffnung“, er werde auch eine Liberalisierung in Gang bringen. „Es tut sich aber nichts. Der einzelne Bürger spürt noch keine Entlastung.“ Ohne eine Erneuerung der Produktionsanlagen werde es wirtschaftlich keinen Aufschwung geben, ergänzte Henner Fürtig, Direktor des GIGA Instituts für Nahost-Studien, in der Diskussion. „Die Industrie des Iran ist restlos veraltet und am Boden.“

Knapp zehn Millionen sind Analphabeten

Natalie Amiri, Jahrgang 1978, ist übrigens die einzige deutsche TV-Journalistin mit Büro in Teheran und berichtet regelmäßig im „Weltspiegel“, dem Auslandsmagazin der ARD. Sie sei immer wieder fasziniert von der Vielschichtigkeit des Landes, sagt sie. „Es ist mir sehr wichtig, aus dieser Teheran-Blase auch herauszukommen und zu berichten, wie das übrige Land denkt.“ Zu ihrem Team in der iranischen Hauptstadt gehören ein Kameramann und eine Producerin. Übersetzer braucht Amiri nicht: Sie selbst spricht sechs Sprachen, darunter Farsi und Arabisch. Für Probleme sorgen eher die technischen Voraussetzungen in Teheran: „Oft wird die Geschwindigkeit des Internets reduziert und damit unser Übertragungsweg für die Beiträge blockiert.“

Knapp zehn Millionen der 80,5 Millionen Iraner sind Analphabeten, und das Stadt-Land-Gefälle ist groß, stellt Amiri immer wieder fest. Gerade die Landbevölkerung habe hinter dem früheren Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad gestanden. Nicht weil er großmäulig Israel bedrohte, sondern weil er eine Versorgungspolitik startete: Monatlich erhielten die Iraner umgerechnet zehn Euro pro Person, bei einer siebenköpfigen Familie 70 Euro. Angesichts eines Durchschnittseinkommens von 500 Euro im Monat habe das „vielen die Existenz gerettet“. Aber selbst die Reichen profitierten von diesen Unterstützungen. Präsident Rohanis Pläne, das Programm nun abzubauen und nur noch an die 70 Prozent Geringverdienenden auszuzahlen, wird nach Amiris Einschätzung für viel Unmut sorgen. „Monatlich kosten den Staat die Subventionen 1,1 Milliarden Euro. Eine enorme Summe, die der Iran intelligenter einsetzen könnte.“

Land der Gegensätze

Amiri erlebt ein Land der Gegensätze. 2009 hat sie mitgefiebert, als Zehntausende Iraner, unter ihnen viele junge Frauen, für mehr Demokratie auf die Straße gingen und schließlich auch um ihr Leben kämpften. Die islamischen Bassiji-Milizen stürmten damals mit Knüppeln bewaffnet in die Menge. Die jungen Demonstranten schickten ihre Erlebnisse und Forderungen vor allem über Twitter in die Welt. Heute hat sich einiges gelockert. Als Amiri kürzlich bei einem Popkonzert filmte, wurden die ausgelassen tanzenden Jugendlichen zwar ständig von Aufpassern in die Schranken gewiesen. Gleichwohl gebe es in größeren Städten eine sehr aktive Partyszene, sagt sie, quasi wie eine privat organisierte Gegenwelt zum strengen Sittenkorsett der Revolutionswächter. Auch der gestiegene Make-up-Verbrauch bei jungen Frauen wird heute toleriert.

Als Korrespondentin muss Amiri vorsichtig agieren, bei Interviews trägt sie immer einen Schal. Besonders ängstlich seien ihre Gesprächspartner aber nicht: „Ich treffe auch viele Menschen, die darauf brennen, mir etwas zu erzählen.“ Vor allem die Frauen: Nach der Scharia sind sie nach wie vor stark benachteiligt. Eine Arbeit annehmen oder ausreisen dürfen sie mit Genehmigung des Ehemanns, ihre Zeugenaussagen vor Gericht gelten nur halb so viel wie die eines Mannes, sagt Amiri. Präsident Rohani habe zwar drei Vizepräsidentinnen eingesetzt. Dennoch sind nur 13 Abgeordnete im iranischen Parlament Frauen. „Aber die iranischen Frauen sind ungeheuer mutig. Wenn sich in dem Land etwas ändert, dann durch sie.“

„Iran: Aufbruch im Gottesstaat?“ Eine Zusammenfassung auf tagesschau24, 28.10., 23.15 Uhr

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