Geburtshelferinnen-Drama

Nina Kunzendorf: „Die Lage der Hebammen ist aberwitzig“

| Lesedauer: 9 Minuten
Volker Behrens
Nina Kunzendorf spielt in diesem gesellschaftlich relevanten Gerichtsdrama die erfahrene freiberufliche Hebamme Emma

Nina Kunzendorf spielt in diesem gesellschaftlich relevanten Gerichtsdrama die erfahrene freiberufliche Hebamme Emma

Foto: ZDF und Hardy Spitz

Die Schauspielerin überzeugt im Geburtshelferinnen-Drama „ Nacht der Angst“ im ZDF. Ihren Beruf hat sie in Hamburg gelernt.

Hamburg.  Sie hat einen ganz schön festen Händedruck. Überhaupt hat Nina Kunzendorf irgendwie ein zupackendes Wesen. Wäre sie Sportlerin, könnte man sie als austrainiert bezeichnen. Wenn bei ihr die Rahmenbedingungen für eine Rolle stimmen, also Drehbuch, Regie und Kollegen, sei sie mit Kraft, Energie, Ausdauer und Lebenslust dabei, sagt sie. Die 44-Jährige zeigt bei der Auswahl offenbar Augenmaß, dafür stehen gleich mehrere Auszeichnungen wie der Grimme-Preis und die Goldene Kamera.

Laubbläser allerdings kann sie nicht so gut leiden, im Gespräch springt sie sofort auf und schließt das Fenster, weil draußen jemand mit dem Motorgerät nervt. Im Film „Nacht der Angst“ spielt Kunzendorf die Hebamme Emma, die vor Gericht steht, weil es bei einer Geburt Komplikationen gab, die zur Schwerbehinderung eines Kindes geführt haben. Ihr drohen Haft, eine Geldstrafe und ein Berufsverbot.

Hamburger Abendblatt: Wie wichtig ist ­Ihnen die Thematik des Films?

Nina Kunzendorf: Es kann nicht schnell genug gehen, dass er ins Fernsehen kommt. Die Situation hat sich, seit wir ihn gedreht haben, weiter zugespitzt.

Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit Hebammen gemacht?

Kunzendorf : Schon vorher gute, zur Vorbereitung für diesen Film aber noch einmal besonders intensive. Ich war ein paar Tage in einem Geburtshaus, habe Hebammen begleitet, mir vieles zeigen lassen und mit ihnen gesprochen. Ich habe immer den Anspruch, dass es authentisch wirkt, was ich vor der Kamera mache. Hier besonders. Ich wollte nicht, dass ich einer Schwangeren auf dem Bauch herumknete und eine echte Hebamme beim Betrachten dieser Szenen schreiend davonläuft. Das war mir wichtig.

Was haben Sie im Umgang mit den ­Hebammen erfahren?

Kunzendorf: So groß die Liebe und Leidenschaft zum Beruf bei diesen Frauen ist – und sie sind alle mit sehr viel Herz, Verstand und Fachwissen dabei – sind sie alle eben auch zutiefst verzweifelt angesichts ihrer momentanen Situation. Es gibt etwa 3500 freiberufliche Hebammen. Etwa 20 Prozent haben sich schon von diesem Beruf verabschiedet. Schwangere müssen manchmal hundert Kilometer fahren, um eine Klinik mit Entbindungsstation zu finden.

Was muss jetzt getan werden?

Kunzendorf: Die Politiker müssen handeln. Hebammen verdienen nur 8,50 Euro pro Stunde. Wenn eine Hebamme im Jahr 18.000 Euro verdient und davon mehr als 6000 Euro für eine Haftpflichtversicherung bezahlen muss, bedeutet das für die meisten dieser Frauen, dass sie sich diesen Beruf nicht mehr leisten können. Oder sie müssen nebenbei Yoga-Kurse anbieten oder sich nur noch auf die Schwangerschafts- und Wochenbettbetreuung verlegen, also gar keine Geburten mehr machen.

Wie finden Sie das?

Kunzendorf: Das ist aberwitzig und eine Katastrophe. Es gibt jetzt wohl einen Schiedsspruch vom Verband der Krankenkassen. Demnach darf und muss der Arzt ab dem dritten Tag nach dem errechneten Geburtstermin entscheiden, wo die Geburt stattzufinden hat. Das ist ein massiver Eingriff in die Berufsfreiheit der Hebammen und juristisch höchst fragwürdig, weil es ein Persönlichkeitsrecht der werdenden Eltern und des Kindes einschränkt. Da geht ein Berufsstand zugrunde. Die Folgen sind noch gar nicht abzusehen. Ich hoffe, dass dieser Film möglichst viele Menschen für das Thema sensibilisiert.

Kann man mit einem Spielfilm so ein Thema besser transportieren als mit einem Dokumentarfilm?

Kunzendorf: Besser vielleicht nicht, aber anders. Über Dokumentarfilme zu diesem Thema würde ich mich sehr freuen! Ein Spielfilm hat die Möglichkeit, ein Thema emotional und dramatisch über Figuren zu erzählen und dadurch zu berühren. Im besten Fall trägt er das Thema nicht ständig wie eine Fahne vor sich her. Mir gefällt an „Nacht der Angst“, dass hier unterschiedliche Standpunkte zu den Themen Haus- und Klinikgeburt verhandelt werden, ohne schwarz-weiss zu malen.

Der Frau, die Sie hier spielen, drohen ­hohe Schadenersatzforderungen und ein Berufsverbot. Ist das realistisch oder dramatisch zugespitzt?

Kunzendorf: Das ist realistisch, es gibt leider etliche Beispiele hierfür. Hebammen arbeiten natürlich auch in einem Bereich, der sehr fragil und angreifbar ist. Andererseits haben sie aber einen klaren Risikokatalog in einem Geburtshaus. Das ist ja nicht nur ein warmer Raum, in dem eine Matratze liegt und alle sich lieb haben. Es geht dort hoch professionell, fürsorglich und sehr besonnen zu. Die Vorgespräche, bei denen ich dabei war, waren enorm detailliert. Es sind eben keine Hippies, die mit den Schwangeren in den Wald gehen, um ihnen dabei zu helfen, Kinder zu gebären. Man hat in diesem Beruf eine ganz große Verantwortung.

Nicht nur die Schwangeren werden beraten, sondern auch die werdenden Väter?

Kunzendorf : Genau. Der Mann muss sogar unterschreiben, dass sich die Hebammen auch dann vorrangig um die Frau kümmern, wenn er bei der Geburt in Ohnmacht fällt. Das hat bei den Vorgesprächen zu großem Amüsement bei den werdenden Eltern geführt.

In diesem Film geht es vorrangig um die freien Hebammen. Sind die Rahmen für die im Krankenhaus arbeitenden Frauen anders?

Kunzendorf: Schon, aber auch da herrscht Personalnotstand. Wünschenswert wäre eine Eins-zu-eins-Betreuung von Schwangerer und Hebamme. Das ist aber nicht mehr zu leisten.

Mögen Sie diese Emma, die sie spielen?

Kunzendorf: Entscheidender ist für mich, ob ich sie verstehe, und das ist so. Das heißt noch lange nicht, dass ich eine Figur mit etwas zeitlichem Abstand nicht in die Mangel nehmen würde. Das mache ich ziemlich oft, denn ich liebe es ja auch, Rollen zu spielen, die fragwürdig handeln oder zumindest Momente haben, in denen man sie gar nicht mag. Ich entscheide nicht in erster Linie aus Zuneigung für eine Rolle, sondern aus Interesse für sie.

Ziemlich interessant fanden viele ­Zuschauer Sie als Cowboystiefel tragende „Tatort“-Kommissarin Conny Mey. Sind Sie froh, dass Sie sich von dieser Rolle verabschiedet haben?

Kunzendorf: Da ist mittlerweile schon so viel Wasser die Elbe runtergeflossen. Ich verabschiede mich immer mit Gelassenheit von meinen Rollen und freue mich auf die nächste, das ist ja das Schöne an meinem Beruf.

Sie haben Ihre Schauspielausbildung in Hamburg gemacht. Welches Verhältnis haben Sie zur Stadt?

Kunzendorf: Ich mag Hamburg total gern. Die Zeit meines Studiums hier ist für mich immer noch sehr wertvoll. Danach bin ich erst einmal für ein Engagement nach Mannheim gegangen, meine Heimatstadt.
1998 kam ich dann noch einmal für zwei sehr wichtige Jahre zurück zum Schauspielhaus unter der Intendanz von Frank Baumbauer. Ich freue mich immer, wenn ich herkomme. Mein Mann ist Hamburger, die halbe Familie wohnt jetzt hier.

Ein Film, den Sie abgedreht haben, ist die Komödie „Ich bin dann mal offline“. Wie wichtig ist Ihnen Ihr Smartphone?

Kunzendorf: Ein Handy-Junkie bin ich nicht. Ich brauche das Kommunikationsmittel schon von Berufs wegen. Grundsätzlich versuche ich, mich im Umgang damit sehr zu disziplinieren. Ich finde es ganz schlimm, wenn mich die Tatsache überhaupt beschäftigt, dass ich mein Handy mal zu Hause vergessen habe. Da klingeln bei mir die Alarmglocken. Es ist doch grauenhaft, wenn Menschen beim Kaffeetrinken mit Freunden alle zwei Minuten aufs Display schauen.

Haben Sie noch Lust auf Theater?

Kunzendorf: Ja. Ich gehe auch gern hin. Die Zeit am Theater ist für mich ein großer Schatz. Wenn ich zu Premieren fahre, um einen Freund am Deutschen Theater in Berlin zu besuchen, denke ich aber: Gott, bin ich froh, dass ich nicht spielen muss. Bei der Vorstellung, selbst eine Premiere spielen zu müssen, bekomme ich Schweißausbrüche. Aber die Vorstellung, mich über Wochen hinweg mit einem Stück in einer tollen Sprache zu befassen, Wege und Irrwege zu gehen, das ist für mich sehr verführerisch. Das finde ich herrlich.

Woher kommt diese Theater-Hemmschwelle?

Kunzendorf: Ich war einfach oft so schrecklich nervös. Zu meiner Hamburger Schauspielhauszeit besonders. Das hatte sicherlich damit zu tun, dass ich hier auf der Schauspielschule war und als Zuschauerin im Schauspielhaus saß und das alles bewundert habe. Als ich selbst da oben stand, dachte ich: Oh mein Gott, ich muss jetzt mit jeder Vorstellung beweisen, dass ich auch wirklich hier sein darf. Als Schauspieler wird man immer von dem Gedanken verfolgt: Es handelt sich alles nur um einen großen Irrtum. Wann merken die Zuschauer es, dass ich ein totaler Scharlatan bin? In München habe ich mich freier gespielt. Wenn ich aber heute auf der Bühne stehen müsste, wäre ich jetzt kurz vor der Schnappatmung.

„Nacht der Angst“ Mo, 30.11., 20.15 Uhr, ZDF

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