Hamburg. Ein Kolumnist des „Tagesspiegel“ wird in Berlin vor seiner Wohnung von Unbekannten niedergeschlagen, ein Reporter der „Deutschen Welle“ in Dresden bei einer Pegida-Kundgebung ins Gesicht geschlagen, ein MDR-Reporter getreten, ein Team der „Welt“ wird bei einer NPD-Demonstration angepöbelt und attackiert. Beispiele der letzten Tage und Wochen. Der DJV spricht von einer „neuen Stufe auf der Eskalationsleiter der Journalistenfeinde“. Eine „außergewöhnliche Steigerung“ von Übergriffen gegen Journalisten hat auch die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ beobachtet. Die Hamburger Journalistin Katja Gloger vom „Stern“ gehört seit fünf Jahren dem Vorstand von Reporter ohne Grenzen an. Sie plädiert dafür, auch in Deutschland die Pressefreiheit wieder neu zu verteidigen. Ein Gespräch über Hassmails, Verschwörungstheorien und nötige Selbstkritik.
Hamburger Abendblatt: Müssen Journalisten, die in Dresden, Berlin oder anderswo in Deutschland ihre Arbeit tun, plötzlich Angst haben?
Katja Gloger: Wir beobachten jedenfalls: Aus Wutbürgern werden zunehmend Hassbürger. Die Pegida-Demonstrationen sind ein Ausdruck dafür. Dort wurden Journalisten körperlich bedrängt, angegriffen, waren wüsten verbalen Attacken ausgesetzt. Allein in diesem Jahr zählt Reporter ohne Grenzen mindestens 18 gewalttätige Übergriffe auf Journalisten oder Redaktionen, darunter auch der Brandanschlag auf die „Hamburger Morgenpost“. Aber die Angriffe treffen ja nicht nur Journalisten, die über Pegida berichten. Wir erleben auch mehr und mehr eine Radikalisierung gegenüber Politikern und Ehrenamtlichen, die sich für Flüchtlinge oder Ausgegrenzte engagieren. Das geht von schlimmen Beleidigungen bis zum Mordanschlag wie kürzlich in Köln.
Ein Redakteur der „Sächsischen Zeitung“ bekam eine Lesermail, in der steht: „Ich spucke vor Ihre amputierten Füße“ – nur eines von vielen, teils krassen Beispielen. Raten Sie dazu, zu reagieren, so etwas zu sammeln oder es zu löschen?
Gloger : Ich bin unbedingt dafür, sich mit den Lesern und damit natürlich auch mit der Gesellschaft insgesamt auseinanderzusetzen. Die Kommunikation zu suchen, solange es irgend geht. Das gehört zu unserer journalistischen Arbeit. Aber zum Teil sind Mails und Kommentare so hasserfüllt, dass es offensichtlich ist: Die Verfasser wollen nicht diskutieren, nur ihren Hass loswerden. Die Grenze kann nur jeder für sich selbst definieren, als Journalist – und auch als Redaktion. Einige Kollegen wollen nicht mehr über Facebook kommunizieren, weil sie sich dem Hass nicht mehr aussetzen wollen oder weil sie Mails bekommen, in denen steht: „Wir wissen, wo Deine Frau und Deine Kinder leben.“ Wichtig ist vor allem, sich sachlich und klar zu positionieren. Gewalt und Hass dürfen wir nicht tolerieren. Wir kennen das sonst aus anderen Ländern, in denen Reporter ohne Grenzen tätig ist. Dort müssen Journalisten ja teilweise täglich um ihr Leben fürchten.
Kann man mit jemandem, der Hassmails wie die eben zitierte schreibt, tatsächlich noch sinnvoll kommunizieren?
Gloger : Da haben Sie recht, wir müssen unterscheiden. Mit jemandem, der so etwas schreibt oder Frauen unflätigst beschimpft, scheint jeder Austausch wie vergebliche Liebesmüh. Aber man muss auch in Deutschland immer wieder neu deutlich machen, dass jede Gesellschaft ohne Presse- und Meinungsfreiheit wie stumm und blind ist.
Was genau hat sich hier verändert?
Gloger : Was wir bemerken, und was auch Soziologen oder Politologen beschreiben, ist die zunehmende, aggressive Radikalisierung einer immer größer werdenden Gruppe politikverdrossener, frustrierter Menschen. Rattenfänger auf der rechten Seite machen sich diese Stimmung zunutze und heizen sie weiter an.
Welcher Art sind die Angriffe?
Gloger : Sie sind zunächst verbal, Hetze und Drohungen im Internet, wo man bislang wenig rechtliche Konsequenzen befürchten muss. Anfang dieses Jahres etwa verbreiteten Unbekannte im Internet fingierte „Todesanzeigen“ für Journalisten, die über die Dortmunder Naziszene berichten. Auf den Kollegen des „Tagesspiegel“ wurde offenbar im Netz „Jagd gemacht“, bevor man ihn schließlich von hinten körperlich attackierte. Dann gibt es Angriffe aus einer Gruppe, wilde Beschimpfungen, Kollegen werden angerempelt und bedrängt. Allerdings sind uns auch Klagen vor allem von Fotografen zu Ohren gekommen, die sich nicht ausreichend von der Polizei geschützt fühlten.
Inwiefern?
Gloger : Es gab Anfang des Jahres Fälle bei Demonstrationen in Leipzig, als Polizisten Reportern die Kamera wegnehmen wollten oder Hände vor die Objektive hielten. Hier hat aber offenbar ein gewisser Lernprozess eingesetzt. Grundsätzlich allerdings hat man in der Gruppe wenig Folgen zu fürchten, die Täter verschwinden schnell in der Menge. Die Polizei fühlt sich da
offenbar manchmal nicht zuständig. Kollegen vor allem der lokalen Presse, die ja jede Woche vor Ort berichten, versuchen nun, nur noch im Team zu gehen. Eine sehr beunruhigende Entwicklung.
Wer steht besonders im Fokus?
Gloger : Fotografen und Kameraleute, weil sie leichter als Presse zu erkennen sind. Mir scheint auch, dass Frauen anders, schärfer und schlimmer betroffen sind als Männer. Die verbalen Attacken sind persönlicher, das Wort „Schlampe“ gehört noch zur höflicheren Kategorie.
Wer die Medien als „Lügenpresse“ diffamiert, unterscheidet der eigentlich? Wird der „Spiegel“ eher beschimpft als die „Bild“-Zeitung?
Gloger : Das trifft alle sogenannten „etablierten“ Medien, ob das „Bild“ ist oder der „Spiegel“, es trifft Lokalzeitungen ebenso wie die öffentlich-rechtlichen Sender und die privaten Sender. Wir werden gewissermaßen alle in einen Sack gesteckt mit dem „politischen Establishment“. Wir seien alle gekauft, Instrumente des amerikanischen Imperialismus oder des globalen Finanzkapitals.
Es spricht daraus einerseits große Unkenntnis über das Ausüben unseres Handwerks, andererseits müssen wir zur Kenntnis nehmen, das wir keine unumstrittenen Autoritäten mehr sind wie vielleicht noch vor fünf oder zehn Jahren. Das hat natürlich mit dem digitalen Wandel zu tun. Mehr, als es gut ist, stecken Journalisten und Redaktionen in diesen Spiralen der Skandalisierung, dem Live-Tickern, in jeder Sekunde will man noch schneller als der andere sein. Es führt gewissermaßen zu einem Zustand der Dauerempörung, zu immer spitzeren Schlagzeilen. Differenzierte, abwägende Argumente haben da oft keinen Platz mehr.
Schnelligkeit kann manchmal auch Meinungshoheit bedeuten. Wenn nicht-journalistische Plattformen schneller sind und die Deutung von Ereignissen übernehmen, kann das eine Gefahr sein.
Gloger : Absolut. Aber unsere Stärke ist das Recherchieren, Einordnen, Auswerten. Trotzdem müssen wir wahrnehmen, dass Journalisten nicht mehr die allwissenden Gatekeeper sind. Selbstkritik tut hier Not. Es ist wichtig, auch mal zuzugeben: An dieser Stelle weiß ich etwas noch nicht. Da muss ich noch mehr recherchieren. Da muss ich meine Arbeit tun. Das deutlich zu machen, kann die Glaubwürdigkeit unseres Berufsstandes erhöhen. Auch der Umgang mit eigenen Fehlern muss besser werden. Warum nicht zugeben, wenn man sich geirrt hat? So wie Thomas Roth in den „Tagesthemen“, der sich für einen Fehler in der Ukraine-Berichterstattung öffentlich entschuldigt hat.
Bei aller Selbstkritik – erreicht man denn „Lügenpresse“-Rufer überhaupt noch?
Gloger : Es ist zumindest den sehr ernsthaften Versuch wert. Dafür sind wir da. Pressefreiheit ist in unserem Land ja eine Selbstverständlichkeit geworden – zum Glück! Aber wir lernen jetzt, dass dieses Grundrecht auch in einer Demokratie immer wieder neu verteidigt werden muss. Die rechten Rattenfänger verschaffen sich immer lauter Gehör. Das hat viel mit Verschwörungstheorien zu tun, dagegen kommt man natürlich argumentativ gar nicht an. Wer sich als Opfer des global operierenden Finanzkapitals und ihrer angeblichen Marionetten, den Politikern „da oben“, sieht, will nicht differenzieren.
Dass Medien flächendeckend, „gleichgeschaltet“, die Flüchtlingsthematik schönreden, ist ein beliebter Vorwurf.
Gloger : Ich teile den Vorwurf in dieser Form nicht. Mittlerweile wird differenziert berichtet und kontrovers kommentiert. Trotzdem hören wir „Man wird doch wohl mal sagen dürfen ...“ und „Ich bin kein Nazi, aber ...“. Dass man als Journalist da nicht die Pegida-Schreie teilt, sondern eine andere Haltung zeigt und mit Fakten sowie guten Argumenten transparent belegt, empfinde ich als unbedingt richtig. Das ist nicht Journalisten-Pflicht, sondern Bürgerpflicht.
„Alles Lüge oder was? Die Glaubwürdigkeitskrise des Journalismus“ mit Michael Jürgs,
Georg Mascolo und Peter-Matthias Gaede,
Literaturhaus, 20. Januar 2016, 19.30 Uhr,
Eintritt 20 Euro. Die Hälfte der Einnahmen
kommt Reporter ohne Grenzen e. V. zugute.
Spendenkonto bei der Berliner Volksbank: 5667777080, BLZ 10090000,
Infos: www.reporter-ohne-grenzen.de
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