München. Das Buch wurde ein großer Skandal, der Film ein kleiner. Jetzt kommen Charlotte Roches “Feuchtgebiete“ ins Fernsehen. Eigentlich galt das Buch als unverfilmbar, Kritiker befürchteten einen Ekel-Porno. Jungregisseur David Wnendt hat sie eines Besseren belehrt.

Millionenfach wurde Charlotte Roches Buch "Feuchtgebiete" verkauft, monatelang stand es an der Spitze der Bestsellerlisten. Jetzt kommt die Verfilmung des Skandalbuches ins Fernsehen. Das ZDF zeigt den Film an diesem Montag (4. Mai) um 22.15 Uhr.

"Dieses Buch sollte weder gelesen noch verfilmt werden. Das Leben hat doch so viel mehr zu bieten als solch ekelhafte Perversitäten. Wir brauchen Gott!". Dieses Zitat stellt Regisseur David Wnendt an den Anfang seines Filmes und ruft damit in Erinnerung, was los war in Deutschland, als Roches Buch 2008 erschien. Platte Provokation, Pornografie, Skandal riefen die, denen es nicht gefiel. Erfrischendes Erzählen, Tabulosigkeit, neuer Feminismus sagten etwas leiser die, die es mochten.

Im Kino sahen ihn im Jahr 2013 in Deutschland, Österreich und der Schweiz rund eine Million Menschen - deutlich mehr als den Nachfolger "Schoßgebete", der es in Deutschland nur auf knapp über 50 000 Kinobesucher brachte.

Jung-Regisseur Wnendt hat sich den "Feuchtgebieten" mit ganz viel Unvorgenommenheit genähert - und die Rolle der 18-jährigen Helen Memel mit einer großartigen Schauspielerin besetzt: der Schweizerin Carla Juri. Ihr mutet er einiges zu. Tampontausch mit der besten Freundin Corinna, der "Blutsschwester" (Marlen Kruse), Masturbation mit Gemüse (Testsieger: Möhre), Hämorrhoidenbehandlung durch den großartigen Edgar Selge als Doktor Notz - kaum eine der Skandalszenen, mit denen das Buch einst für Aufregung sorgte, lässt Wnendt aus.

Immer wieder zeigt er Juri nackt - allein oder in Gesellschaft -, blutverschmiert oder mit diversen Körperausscheidungen spielend. Das brachte dem Film die Freigabe erst ab 16 Jahren ein. Alles andere wäre bei der Romanvorlage aber auch eine Überraschung gewesen.

Roche selbst hielt ihr Buch für quasi unverfilmbar. "Da sind ja schon auf jeder Seite Hardcore-Sachen. Das wäre schon sehr splatter-pornomäßig und würde das Publikum wahrscheinlich überfordern." Nachdem sie ihn gesehen hatte, sagte Roche allerdings: "Ich bin sehr glücklich über diesen Film."

Das liegt wohl daran, dass Wnendt die eigentlich rührende Geschichte des Romans erkannt hat und die inzwischen berühmten Skandal-Episoden einbettet in eine berührende Handlung. Denn die "zeigefreudige" Helen, die von Körperhygiene nur bedingt begeistert ist, ist nicht nur tabulos und genusssüchtig, sie ist als Scheidungskind vor allem auf der Suche nach Halt, Geborgenheit und Liebe - nach eigentlich ganz klassischen Familienwerten.

Rückblicke in ihre Kindheit zeigen immer wieder, was sie mit ihren Eltern (großartig: Meret Becker und Axel Milberg) durchgemacht hat. Die depressive Mutter versuchte einst, sich das Leben und Helens kleinen Bruder gleich mitzunehmen. Der Vater weiß mit seiner 18-jährigen Tochter nicht mehr viel anzufangen. Und so will Helen die Zeit im Krankenhaus, wo sie wegen einer missglückten Anal-Rasur und eben jener undamenhaften Hämorrhoiden behandelt wird, vor allem nutzen, um die getrennten Eltern am Krankenbett der Tochter wieder zusammen zu führen. Die restliche Zeit nutzt sie, um den attraktiven Pfleger Robin (Christoph Letkowski) mit ihrer offenen Art um den Verstand zu bringen und um den Finger zu wickeln.

Helen fühlt sich einsam, verlassen und verloren und schreckt nicht davor zurück, sich schreckliche Dinge anzutun, um diesen Zustand zu beenden. Dass Hauptdarstellerin Juri ihren bezaubernden Akzent nicht ganz ablegt, gerät zum Stilmittel und unterstreicht die Fremdheit, die Helen wohl fühlen muss in Bezug auf ihre Familie und die ganze Welt.

Auch wenn - nicht nur - Boulevardmedien beim Kinostart vor allem den Ekelfaktor betonten und auch einige - wenige - Journalisten ihn nach der Weltpremiere Film pauschal als "ekelhaft" klassifizierten, entwickelt "Feuchtgebiete" als Film eine ganz eigene Ästhetik. Bei aller Tabulosigkeit behält Heldin Helen immer eine gewisse Unschuld und bewahrt kindliche Träume.

Tatsächlich sind im Film Ekel- oder Sexszenen nie Selbstzweck oder Effekthascherei, und eine gute Portion Ironie ist auch dabei. Und so ist aus dem Skandalbuch ein durchaus beeindruckender, einfühlsamer und auch sehr humorvoller Film geworden.